Alternative im Nahverkehr Seilbahn statt U-Bahn
München oder Köln denken darüber nach, Seilbahnen für den Nahverkehr zu bauen. Lateinamerika ist da schon weiter, allen voran La Paz. Dort läuft das größte städtische Seilbahnnetz der Welt - mit großem Erfolg.
Der Himmel von La Paz wird immer bunter. Rote, grüne und gelbe Gondeln schweben hoch über den Dächern der Stadt. Inzwischen sind auch kaffeebraune, orange- und lilafarbene Kabinen dazu gekommen. Jede Farbe steht für eine Seilbahn-Linie.
La Paz, der höchst gelegene Regierungssitz der Welt, hat eine Vorreiterrolle übernommen. Zehn Seilbahnen bilden das Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs. Seilbahnen, wie man sie aus den Skigebieten der Alpen kennt.
Fünf Minuten statt zwei Stunden
Drinnen sitzen vor allem Menschen aus ärmeren Gegenden. Solche aus El Alto etwa, der immer weiter wuchernden Nachbarstadt, die hinunter ins Tal von La Paz pendeln. "Ich bin sehr zufrieden, das fühlt sich an wie Fliegen", sagt, Antonio Claros. "Früher haben ich ein, zwei Stunden gebraucht, jetzt bin ich in fünf Minuten da. Mir kommt es jetzt vor, als läge alles direkt ums Eck."
Gerade den Bewohnern von El Alto, der armen Nachbarstadt auf dem Berg, hat der Bau der Seilbahnen viele Vorteile gebracht.
Busse sind dreckig, die Seilbahn ist sauber
Busse stecken in La Paz im Dauerstau fest, Züge gibt es nicht - und an den steilen Hängen könnte man ohnehin keine Gleistrassen bauen. Vor fünf Jahren wurde die erste Linie eröffnet. Die zehnte, die silberne, erst im März.
"In den Kleinbussen geht es den Betreibern nur ums Geld, aber alles ist dreckig, und kaputt, das ist eine Zumutung", sagte Carlos Arturo. "In der Seilbahn ist alles sauber und ordentlich."
In Europa werden Seilbahnen meist nur für touristische Zwecke gebaut. In La Paz ist das Seilbahnnetz "Mi Teleferico" inzwischen selbst zur Attraktion geworden. Die schwebenden Gondeln verbinden 36 Stationen, das gesamte Netz ist 30 Kilometer lang.
In mehreren deutschen Städten gibt es Überlegungen, Seilbahnen für den innerstädtischen Nahverkehr zu bauen. Am konkretesten ist das Projekt in Wuppertal, wo es am 26. Mai - parallel zur Europawahl - eine Bürgerbefragung gibt. Hier geht es um eine Bahn vom Hauptbahnhof im Tal zur Universität und zu einem Wohngebiet auf einem Berg.
Ebenfalls recht konkret sind Ideen in München für eine Seilbahn über dem Mittleren Ring im Norden der Stadt. Sie soll eine Querverbindung zwischen U-Bahn-Linien schaffen.
Noch sehr vage sind Überlegungen in Köln, wo eine Bahn im Zick-Zack-Kurs über dem Rhein verlaufen könnte, und in Kempten. Die 70.000-Einwohner-Stadt im Allgäu prüft den Bau einer Bahn, die um die Innenstadt herum verlaufen könnte.
In drei deutschen Großstädten schweben bereits Seilbahnen, die allerdings überwiegend touristischen Zwecken dienen und "Überbleibsel" von Gartenbauausstellungen sind: Berlin, Koblenz und Köln.
Ideal in einer Stadt mit bis zu 1000 Meter Höhenunterschied
Für La Paz mit seinen steilen Hängen sind die Bahnen - technisch heißen sie "Einseilumlaufbahnen" - das ideale Verkehrsmittel. Geliefert werden sie vom österreichischen Hersteller Doppelmayr. "Es gibt innerhalb der Stadt bis zu 1000 Meter Höhenunterschied, sehr enge Gassen, Serpentinen, begrenze Straßenkapazitäten - und da hat sich die Seilbahn angeboten", erklärt Doppelmayr-Projektleiter Thorsten Bäuerlein die Vorzüge des schwebenden Verkehrsmittels.
3000 bis 4000 Fahrgäste pro Stunde kann eine Linie über die Dächer tragen. Eine U-Bahn würde zwar zehnmal so viel schaffen und ist schneller. Dafür ist die Seilbahn viel billiger und flexibler.
Die Gondeln schweben über dicht bebaute Stadtviertel hinweg - ebenso wie über Villenviertel.
Arme Bewohner kommen plötzlich in reiche Viertel
Gewöhnungsbedürftig ist das neue Verkehrsmittel für viele trotzdem. Die Gondeln schweben bis zu 65 Meter über dem Boden - und einige Strecken wurden direkt über bebaute Stadtviertel gebaut, was in Europa gar nicht erlaubt wäre.
Die Gondeln schweben direkt über Villen hinweg wie auch über ärmliche Hütten. Auch das passt übrigens nicht allen. Es gab sogar schon Proteste, weil die armen Bewohner von El Alto plötzlich Zugang zu den Einkaufszentren der reicheren Stadtteile hatten. Die Stadt sieht aber auch das als Erfolg - beweist es doch, dass die bunten Gondeln am Himmel von La Paz die Stadt gründlich verändern.
Leise, sauber und im Vergleich mit den Bussen ziemlich schnell kreisen mittlerweile 1400 Gondeln über die Stadt. Sie sind zum Wahrzeichen geworden. Südamerika zeigt, dass sie auch ein normales Verkehrsmittel sein können. Langsam gehen den Bolivianern aber die Farben aus. Nach der silbernen soll als nächstes noch eine goldene Linie in Betrieb gehen.