Verfassungskonvent tagt Das Versprechen eines neuen Chile
Chile macht sich daran, mit einem Verfassungskonvent das Erbe der Pinochet-Dikatur zu überwinden. An seiner Spitze steht mit der Indigenen Loncón eine Vertreterin jener Völker Chiles, die bislang an den Rand gedrängt wurden.
Es sind neue und ungewohnte Töne, die vor dem alten Kongresspalast in Santiago de Chile erklingen, wo der Verfassungskonvent zusammengekommen ist. Die traditionelle Trompete der Mapuche ist zu hören und ihr Schlachtruf "Zehn und tausend Siege".
Es ist die Vorsitzende des Gremiums selbst, die diesen Ruf anstimmt. Mit Elisa Loncón hat die verfassungsgebende Versammlung eine Vertreterin der Indigenen zur Präsidentin gewählt. Sie wird die Sitzungen leiten, bei denen im Lauf eines Jahres eine neue Verfassung für Chile entstehen soll.
Und die Sprachwissenschaftlerin unterstreicht, dass dieser Verfassungsprozess das Land grundsätzlich verändern soll. Bei ihrer Rede hält sie die "Wenufoye" in den Händen, die blau-grün-rote Fahne ihres Volkes. 1992 war sie daran beteiligt, diese neue Flagge zu entwerfen, jetzt entwirft sie ein neues Land. Diese Versammlung, sagt sie, "wird Chile in einen Staat vieler Nationen verwandeln, ein interkulturelles Chile". Sogar von einem "neuen Chile" spricht Loncón - "plural, vielsprachig, mit allen Kulturen, mit allen Völkern, mit den Frauen und allen Gebieten - das ist unser Traum, wenn wir eine neue Verfassung schreiben."
Einst ein Symbol des Protestes, nun ein Symbol für die Hoffnung auf eine neue Zeit: Elisa Loncón zeigt im Konvent die Flagge der Mapuche.
Relikte der Pinochet-Diktatur
Die Mapuche sind mit gut 1,7 Millionen Menschen das größte indigene Volk Chiles. Doch sie und die anderen indigenen Völker hatten bislang in der Politik wenig mitzureden. Die alte Verfassung Chiles, die im Kern noch aus der Pinochet-Diktatur stammt, gewährt ihnen keinerlei Sonderrechte. Dabei gab es immer wieder und gibt es weiter erbitterte Konflikte um Landrechte. Loncóns Großvater saß deswegen in der Zeit der Diktatur im Gefängnis.
Die "Wenufoye", die Fahne der Mapuche, war auch zum Symbol der Protestbewegung geworden, die Chile Ende 2019 erlebte. Doch die Forderungen der Protestbewegung gingen weit über die Rechte der indigenen Völker hinaus. Es ging vor allem um mehr Teilhabe und soziale Gerechtigkeit. Die alte Verfassung wurde von den Demonstranten als Auslöser sozialer Spannungen und von Ungleichheit gesehen, weil sie die Vormachtstellung der alten Wirtschaftseliten zementiere. Daher konnten sich die Demonstranten schnell auf die Forderung nach einer neuen Verfassung verständigen.
Unterschiedliche Interessen
Doch im Detail sind die Interessen sehr unterschiedlich. Bei der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung hatten sich überraschend viele unabhängige Kandidaten durchgesetzt, die keinem Parteilager zuzuordnen sind.
Locóns Aufgabe wird jetzt sein, die vielen divergierenden Interessen zusammenzubringen, radikale und gemäßigte Vorstellungen in Einklang zu bringen. Der neue Verfassungstext muss von zwei Dritteln der Konventsmitglieder beschlossen werden.
Tumulte zum Auftakt
Und auch wenn die Konservativen von Präsident Piñera es nicht geschafft haben, die erhoffte Sperrminorität von einem Drittel der Sitze zu erreichen, dürfte dieser Prozess schwierig werden. Tumulte und Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei überschatteten schon die erste Sitzung des Verfassungskonvents.
Locóns erste Forderung: die Gefangenen freizulassen, die im Rahmen der Landkonflikte und bei gewaltsamen Ausschreitungen am Rand der Proteste von 2019 festgenommen wurden.