Bericht in Großbritannien Russisches Geld für den Brexit?
Nach langem Hin und Her wird heute in London der mit Spannung erwartete Russland-Report veröffentlicht. Premierminister Johnson hatte das seit dem letzten Herbst hinausgezögert. Die Opposition fragt: Wovor hat er Angst?
Fast zwei Jahre lang wurden Zeugen und Experten angehört, darunter so hochkarätige Figuren wie Christopher Steele, einer der Top-Spione des MI6 mit jahrelangem Dienstsitz in Moskau. Die Frage, um die es ging: Ist russisches Geld in die britische Politik geflossen, um den Konflikt zwischen Großbritannien und der EU zu schüren?
Verzögerte Veröffentlichung
Als Dominic Grieve, der damalige Vorsitzende des Ausschusses, seinen Bericht im Oktober 2019 der Downing Street vorlegte, ahnte er nicht, dass Premierminister Boris Johnson alles daran setzen würde, dessen Veröffentlichung zu verhindern. Eine nach den Wahlen notwendige Neubesetzung des Geheimdienstausschusses fand erst viele Monate lang gar nicht statt. Dann kursierten Gerüchte, die Downing Street wolle Dominic Grayling als Vorsitzenden, einen Abgeordneten, der mit Fragen nationaler Sicherheit noch nie befasst war, dafür aber den Russland-Bericht möglicherweise auf die lange Bank geschoben hätte.
Als der Ausschuss in Eigenregie den weit erfahreneren Tory Julian Lewis zum Vorsitzenden wählte, warf Johnson ihn noch am selben Abend aus der Partei, offenbar ohne bedacht zu haben, dass er den unliebsamen Lewis auf diese Weise nicht als Ausschussvorsitzenden würde verhindern können. Und so erklärte Lewis bereits am nächsten Tag, der Bericht werde noch vor der Sommerpause veröffentlicht. Die Nerven scheinen blank zu liegen in der Downing Street, wenn es um diesen Report geht. Und ganz Großbritannien fragt sich nun, warum.
Russische Unterstützung für die "Vote Leave"-Kampagne?
Seit Jahren wird vermutet, dass verdeckte Gelder aus Russland beim Brexit-Referendum eine entscheidende Rolle gespielt haben könnten. Der Geschäftsmann Arron Banks, der die Austrittskampagne "Vote Leave" mit 8 Millionen Pfund unterstützt hatte, konnte den Verdacht, diese Millionen stammten aus Russland, nie ganz abschütteln. Die britische Untersuchungsbehörde "National Crime Agency" stellte die Ermittlungen gegen ihn zwar offiziell ein. Dass er sich vor und nach dem Referendum aber mehrfach mit dem russischen Botschafter Alexander Jakowenko und anderen russischen Investoren getroffen hatte, räumte Banks erst später ein.
Grieve, der den Bericht vor neun Monaten in der Downing Street abgegeben hat, glaubt nicht, dass der für die Öffentlichkeit freigegebene Teil hinreichend Belege für eine russische Einmischung in das Brexit-Referendum enthält. Das durch die lange Verzögerung angestachelte Interesse an dem Report werde enttäuscht werden, erklärt er dem ARD-Studio London. Grieves Theorie, warum Johnson den Bericht so lange unter Verschluss gehalten hat, ist viel einfacher. "Es war eine Machtdemonstration mir gegenüber. Johnson hat mich 2019 mit vielen anderen, die gegen den Brexit waren, aus der Partei geworfen, und wollte nun zeigen, dass er diesen ehemaligen Teil der Partei einfach ignorieren kann."
Nähe der Tories zu russischen Investoren
Die für Johnson und die konservative Partei heikleren Details werden wohl in dem Teil stehen, der nicht veröffentlicht werden darf. Denn dass es eine besondere Nähe zwischen Londoner Russen und der Tory-Partei gibt, darüber berichten britische Medien seit vielen Jahren.
Luke Harding, Russlandexperte und Korrespondent des "Guardian", hält es für keinen Zufall, dass Johnsons erster Ausflug nach seinem Wahlsieg ihn ausgerechnet auf eine Party des russischen Investors Evgeny Lebedev führte. Denn auch sonst haben sich in London lebende Russen immer wieder als grosszügige Spender für die Tories erwiesen. So hatte die Frau eines russischen Ex-Vizefinanzministers Lubow Chernuchin 2013 160.000 Pfund für ein Tennisspiel mit Premierminister Johnson bezahlt, das auch stattfand. Und das war erst der Anfang. Laut "Guardian", der diese Spenden seit Jahren verfolgt, hat Chernuchin in den letzten sieben Jahren über 1,6 Millionen Pfund an die Tory-Partei gezahlt.
Womöglich will Johnson einfach nur vermeiden, dass Journalisten sich durch den Report motiviert fühlen, diese Verfilzung wieder genauer unter die Lupe zu nehmen, meinen deshalb viele, die damals als Zeugen im Ausschuss Rede und Antwort standen.
Teilsieg für Putin?
Der Russlandexperte Edward Lucas zum Beispiel hält die Allgegenwart russischen Gelds als solche für das Hauptproblem. "London ist eine der größten Geldwaschanlagen für schmutzige Rubel außerhalb Russlands." Und allein die Tatsache, dass Putin westliche Politiker potentiell als gierig und korrupt vorführen könne, sei ein Teilsieg in Putins hybridem Krieg gegen den Westen. "Putins Hauptziel ist, das Vertrauen in westliche Demokratien zu zerstören, um die moralische Überlegenheit des Westens damit allmählich zu unterminieren. Auf diese Weise gelingt ihm das."
Und so könnte die Veröffentlichung des Russland-Reports auch ohne aufsehenerregende Details doch ein wichtiges Ziel erreichen: Indem sie ein Licht auf die potentiell chronische Korruption im Herzen Londons wirft, die Lucas zufolge sonst zu einer allmählichen Erosion der liberalen Demokratie im Land führen wird.