Russisches Flugzeug Was über den Absturz bekannt ist - und was nicht
Nach dem Absturz einer Militärmaschine in der russischen Grenzregion Belgorod ist noch vieles unklar. Warum etwa stürzte das Flugzeug ab? Und wer war an Bord? Was man weiß, was Russland sagt und was die Ukraine - ein Überblick.
Am Vormittag kamen die ersten Meldungen aus Russland: Ein russisches Militärtransportflugzeug vom Typ Iljuschin Il-76 sei in der Grenzregion Belgorod abgestürzt. Dass ein Flugzeug verunglückte, scheint inzwischen gesichert, von ukrainischer Seite gibt es aber bisher keine offiziellen Angaben zu Insassen und Ursache. Hingegen meldete Russland schon früh, man wisse, wer an Bord war und was die Maschine zum Absturz brachte. Alle Angaben können bisher nicht unabhängig überprüft werden.
Was weiß man über die Insassen des Flugzeugs?
Das russische Verteidigungsministerium meldete schon kurz nach dem Absturz, an Bord der Maschine hätten sich 65 ukrainische Kriegsgefangene, sechs Besatzungsmitglieder und drei Begleitpersonen befunden. Die ukrainischen Gefangenen hätten zu einem Austausch in die Region Belgorod nahe der ukrainischen Grenze geflogen werden sollen. Es gebe keine Überlebenden. In russischen Staatsmedien wurde eine Liste mit Namen und Geburtsdaten der 65 angeblichen ukrainischen Soldaten veröffentlicht.
Der ukrainische Militärgeheimdienst erklärte am frühen Abend, er habe keine verlässlichen Informationen über die Insassen des Flugzeugs. Zugleich bestätigte er, dass für Mittwoch ein Austausch von Gefangenen geplant gewesen sei, der aber "nicht stattgefunden" habe.
Das Nachrichtenportal Ukrajinska Prawda hatte bereits kurz nach den ersten Meldungen zum Unglück berichtet, die ukrainische Seite bestätige den Absturz. Demnach vermutete das ukrainische Militär in dem Flugzeug Nachschub von russischen Flugabwehrraketen S-300. Das ukrainische Koordinationshauptquartier für die Behandlung von Kriegsgefangenen warnte vor dem Weiterleiten "nicht verifizierter Informationen". Die Meldungen zum Absturz würden geprüft.
Wann und wo stürzte das Flugzeug genau ab?
Russischen Angaben zufolge liegt die Absturzstelle bei dem Ort Jablonowo - 50 Kilometer nordöstlich von Belgorod und auch etwa 50 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Laut einem Bericht der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti ereignete sich das Unglück gegen 11.00 Uhr Ortszeit (09.00 Uhr MEZ). Die Maschine sei am Flugplatz Tschkalowski aus der Region Moska nach Belgorod gestartet, der Gefangenenaustausch hätte demnach am Nachmittag in dem Ort Kolotilowka an der Grenze erfolgen sollen. In der Region Belgorod hatten die grenzüberschreitenden Angriffe zuletzt zugenommen.
Was sagt Russland zur Absturzursache?
Das russische Verteidigungsministerium wirft der Ukraine vor, das Flugzeug abgeschossen zu haben. Der Erklärung zufolge registrierte das russische Radar den Start von zwei ukrainischen Raketen aus dem Dorf Lypzi in der ukrainischen Region Charkiw. Das Ministerium sprach von "einem terroristischen Akt". Weiter heißt es in der Mitteilung, die ukrainische Führung habe genau gewusst, "dass die auszutauschenden ukrainischen Militärangehörigen gemäß der gängigen Praxis heute mit einem Militärflugzeug nach Belgorod gebracht werden würden".
Der russische Duma-Abgeordnete Andrej Kartapolow sagte bei einer Parlamentssitzung, das Flugzeug sei mit drei Flugabwehrraketen entweder des US-Systems Patriot oder des deutschen Systems Iris-T abgeschossen worden. Eine weitere Maschine vom Typ Il-76 mit 80 weiteren Gefangenen an Bord habe nach dem Abschuss gewendet. Der General im Ruhestand legte keine Belege vor und erläuterte nicht, woher seine Informationen stammen.
Der Nachrichtenagentur dpa zufolge ist aber zumindest die offiziell angegebene Reichweite der Iris-T geringer als die Entfernung zur Grenze. Demnach bezweifeln Experten zudem, dass die Ukraine die teuren Flugabwehrsysteme direkt an der Grenze aufgestellt hat, wo sie für andere russische Waffensysteme leicht zu bekämpfen sind.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow erklärte am Abend, man habe eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates beantragt. Dann solle die Ukraine erläutern, wie es zu dem Absturz gekommen sei.
Das russische Oppositionsmedium "The Insider" schrieb unter Berufung auf eine ungenannte Quelle, Transportflüge zum Gefangenenaustausch würden üblicherweise angekündigt, um eine Feuerpause sicherzustellen. Dies könnte diesmal nicht passiert sein, hieß es.
Schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Und was sagt die Ukraine?
Von der ukrainischen Regierung gibt es zur Unglücksursache keine offiziellen Angaben. Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte in seiner abendlichen Ansprache jedoch eine umfassende Untersuchung mit internationaler Unterstützung an. Dass sich ukrainische Kriegsgefangene an Bord befunden hätten, bestätigte Selenskyj nicht. Der Militärgeheimdienst HUR versuche derzeit mehr über das Schicksal der Gefangenen zu erhalten, so Selenskyj.
Der HUR äußerte sich ebenfalls nicht zur Ursache. Er erklärte jedoch am Abend mit Blick auf den geplanten Gefangenenaustausch, die Ukraine habe ihrerseits alle Vereinbarungen eingehalten und die russischen Soldaten pünktlich zum Austauschort gebracht. Kiew hingegen sei von Russland "nicht darüber informiert worden", dass der Luftraum in dem Gebiet um die Stadt Belgorod gesichert werden müsse, wie es in der Vergangenheit mehrfach getan worden sei. Möglicherweise habe es sich um eine geplante Aktion gehandelt, "um die Situation in der Ukraine zu destabilisieren und die internationale Unterstützung für unseren Staat zu schwächen".
Die Agentur Interfax Ukrajina meldete unter Berufung auf Militärquellen, es sei ein Flugzeug abgeschossen worden - allerdings nach dessen Start von Belgorod. Aus einem ersten Bericht des Nachrichtenportals Ukrajinska Prawda waren Angaben zu einem Abschuss wieder herausgenommen worden.