Lage an Grenze zur Ukraine Das Leid der Kinder
Hunderttausende Ukrainer flüchten in die Nachbarstaaten - die allermeisten Frauen mit ihren Kindern. Die leiden ganz besonders unter der Flucht ins Ungewisse.
Vlad will nicht mehr. Der Vierjährige zieht am schwarzen Anorak seiner Mutter, will erst auf den Arm, dann wieder doch nicht. Seine runden Wangen sind nicht allein wegen der Kälte und des beständig scharfen Winds gerötet. Er ist erschöpft und müde und in das beheizte Behelfszelt will er auch nicht zurück, wo seine kleine Schwester und die Oma auf ihn warten - und der Generator daneben so laut ist.
Kinder jeden Alters kommen mit ihren Mütter über die Grenze nach Rumänien. Babys, dick eingepackt, die Mütze fest um die Ohren. Teenager, die beim Tragen des Gepäcks helfen, manchmal drei, vier, fünf Geschwister, die sich um ihre Mutter scharen. Viele Frauen kommen ohne Kinderwagen, denn wer in den überfüllten Zügen und Bussen die Flucht angetreten hat, konnte nur das Allernotwendigste mitnehmen.
"Viele von den Russen sind auch unschuldig"
Einen quengelnden kleinen Jungen hat die Übersetzerin Julia aus Kiew nicht mehr. Ihrer ist 13 und sie hat ihn in einem der blauen Behelfszelte entlang der Straße zum Grenzübergang abgesetzt, um sich einen Kaffee zu holen, der wie alles andere hier auch, von den Helfern angeboten wird. Auf die Frage, wie ihr Teenager mit dem Schrecken des Krieges zurechtkommt, gibt Julia zurück: Wie alle Jungs in der Ukraine wolle er kämpfen, das Land und seine Lieben beschützen.
Der ukrainische Verteidigungsminister habe russischen Soldaten eine Chance gegeben, meint Julia und fügt hinzu: Sie habe ebenso viele Verwandte in Russland wie in der Ukraine: "Viele von denen sind auch unschuldig. Sie sind sehr jung, wissen nicht, warum sie gekommen sind. Sie kennen die Wahrheit nicht. Die haben es denen nicht gesagt, dass sie hier sind, um anzugreifen."
"Ich will zurück nach Hause"
Einige Zelte weiter steht die 41-jährige Corina Alexandrina Dobinca. Sie hilft seit Kriegsbeginn als Freiwillige der orthodoxen Kirche mit allem, was gebraucht wird. Corina hat am Samstag eine ukrainische Mutter mit ihrer neunjährigen Tochter in ihr Heim aufgenommen.
Und da Corina selbst eine Neunjährige hat, dachte sie, dass es psychisch für das traumatisierte Kind gut wäre, eine gleichaltrige Spielkameradin zu haben. Es sei schrecklich, was die Kinder durchmachten. Das Mädchen schien zunächst noch gesund zu sein. Aber am Morgen sei sie aufgewacht und habe nichts mehr essen wollen. Sie sei in eine tiefe Depression gefallen: "Sie guckt nur aufs Handy und sagt, sie wolle zurück zu ihrem Hund, zurück zu ihrem Opa, zurück nach Hause."
Den ganzen Tag im Bad eingeschlossen
In einem Hotel in der Nähe zum Grenzübergang: Nur wenige Kleinkinder toben hier im freigeräumten Konferenzzimmer, hier können sie rennen, ein bisschen Spielzeug liegt auf dem Teppich, abwechselnd passen die Mütter auf. Viktor, ein junger IT-Techniker, wartet im Hotel auf seine Frau und die drei- und siebenjährigen Kinder, die noch in der Ukraine sind und sehr bald kommen sollen.
Die Frage, ob er der Generalmobilmachung nicht nachgekommen ist, möchte er nicht beantworten. Wohl aber weiß er, was es bedeutet, mit Kleinkindern bei Luftangriffen Schutz zu suchen: Es sei wirklich schwer, kleine Kinder davon zu überzeugen, manchmal den ganzen Tag im Badezimmer zu verbringen, "weil das Klo der sicherste Platz in der Wohnung ist". Und er ergänzt: Auch für die Eltern sei es "wirklich schrecklich", das zu sehen.
Der kleine Vlad hat inzwischen das Reporter-Mikrofon entdeckt und sobald er es in der Hand hat, beginnt er das, was Vierjährige am liebsten tun: Sie spielen. In Vlads Fall: Ich interviewe die Mama.