Reaktionen in Polen auf EU-Schelte Warschau wiegelt ab
Die EU hat sich der internationalen Kritik an der Reform des polnischen Verfassungsgerichts angeschlossen - mit deutlichen Worten. "Ernsthaft besorgt" zeigten sich die Abgeordneten des EU-Parlaments. Und wie reagiert Polen auf die Schelte aus Straßburg?
Henryk Jarczyk, ARD-Studio Warschau
Für den Vorsitzenden der größten polnischen Oppositionspartei "Bürgerplattform" ist der Fall eindeutig: Polen, sagt Grzegorz Schetyna, sei auf dem direkten Weg, an den Rand der Europäischen Union gedrängt zu werden. Nur so lasse sich der jüngste Beschluss des EU-Parlaments interpretieren.
"Das ist eine Warnung für die PiS-Regierung, ein sehr deutliches Signal, das in Polen aufgenommen werden muss. Man kann sagen, dass sich die Regierung der Partei 'Recht und Gerechtigkeit' selbst ins Knie schießt. Aber das Ganze geht zu Lasten Polens", sagt Schetyna.
In der Entschließung des EU-Parlaments in Straßburg heißt es, vor allem der Streit um die Arbeit des Verfassungsgerichts sei bedenklich. Das Parlament äußerte "die ernsthafte Sorge, dass die effektive Lähmung des Verfassungsgerichtshofs in Polen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gefährdet".
Die Verfassungshüter hatten das im vergangenen Dezember von der nationalkonservativen Regierung eingebrachte Gesetz über die Arbeit des Tribunals für verfassungswidrig erklärt. Die Regierung von Ministerpräsidentin Beata Szydlo erkannte dieses Urteil jedoch nicht an.
Das EU-Parlament forderte die Regierung in Warschau nun "nachdrücklich" auf, das Urteil des Gerichts zu veröffentlichen und unverzüglich umzusetzen. Es unterstütze die Haltung der sogenannten Venedig-Kommission des Europarates, wonach verfassungsrechtliche Entscheidungen gemäß der polnischen Verfassung und des internationalen Rechts zu respektieren seien.
Die Abgeordneten riefen die EU-Kommission dazu auf, die zweite Stufe des im Januar eröffneten Verfahrens zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen einzuleiten.
Jüngste Schelte ist ein Missverständnis - sagt die PiS
Vertreter der regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) sehen die Sache freilich ganz anders. Sie nennen die jüngste Schelte des EU-Parlaments ein Missverständnis. Nichts würde die Kritik rechtfertigen, heißt es. Die Warschauer Regierung handle den geltenden Gesetzen entsprechend. Wer das Gegenteil behaupte, habe schlicht keine Ahnung, wie der Senatsmarschall und PiS-Abgeordnete Stanislaw Karczewski betont.
Karczewski: Das Verfassungsgericht funktioniert
Diese Resolution kritisiere zwar die polnische Regierung, so Karczewski, berücksichtige aber nicht, dass man in Polen durchaus Gesetze habe und dass das Verfassungsgericht funktionieren könne. Gleichwohl zeige die Geschichte, dass Ungarn, das vom EU-Parlament einige Male kritisiert wurde, seine Reformen in den Griff bekommen habe, meint der PiS-Abgeordnete. Und jetzt für diese Änderungen gelobt würde. Karczewski hofft und zeigt sich überzeugt, dass europäische Politiker in einigen Wochen oder vielleicht in einigen Monaten polnische Reformen genauso loben werden.
Realitätsverlust - sagt die Opposition
Erwartungen, die nach Ansicht von Regierungskritikern an Realitätsverlust nicht zu überbieten seien. Höchst bedenklich, sagt Oppositionspolitiker Grzegorz Schetyna, sei außerdem die gefährliche Entourage der polnischen Regierung im EU-Parlament.
"Es ist absurd, dass die extrem anti-europäischen Gruppierungen, die vom Verlassen der Europäischen Union träumen, heute die Politik der Partei 'Recht und Gerechtigkeit' unterstützen", sagt Schetyna. "Und warum machen sie das? Eben weil es eine gemeinsame Betrachtungsweise und eine übereinstimmende Politik gibt." Das würde bedeuten, dass die polnische Regierung den gleichen Weg mit den gleichen Konsequenzen gehen wolle. Das sei absurd, meint Schetyna.
Schetyna: Deutliches Signal an Polen
Opposition fügt Polen Schaden zu - sagt die PiS
Vertreter der Partei "Recht und Gerechtigkeit" weisen derartige Vorwürfe weit von sich. Nicht die Regierung, sondern polnische Oppositionspolitiker würden dem Land großen Schaden zufügen, sagen sie. Unter anderem indem sie dafür sorgten, dass sich EU-Parlamentarier mit einer vermeintlichen Demokratie-Gefährdung in Polen beschäftigen müssten.
Berechtigte Sorgen der EU - sagt die Opposition
Unsinn, entgegnen Regierungskritiker. Wenn das EU-Parlament mehrheitlich Polen aufrufe, die Verfassung des Landes zu respektieren, dann sei dies keine Einmischung in die Innenangelegenheiten eines souveränen Staates, sondern vielmehr Ausdruck berechtigter Sorgen. Zumal die Feststellung, dass das polnische Verfassungsgericht von der Regierung gelähmt werde, durchaus den Tatsachen entspräche. Ein Schlagabtausch, der mehr als deutlich macht, dass Polen von einer Lösung des Problems noch Meilen weit entfernt ist.