Interview

Parteikongress in Nordkorea "Kim sucht die Bühne im Theater-Staat"

Stand: 05.05.2016 12:42 Uhr

Kim Jong Un veranstaltet den ersten Parteikongress in Nordkorea seit 36 Jahren. Diese Bühne wolle der Machthaber für sich nutzen, meint der Korea-Forscher Eric Ballbach im Gespräch mit tagesschau.de. Das Treffen könne aber auch einen Politikwandel einleiten.

tagesschau.de: Der Parteikongress wird eine große Veranstaltung. Dennoch ist kaum etwas darüber bekannt. Warum?

Eric Ballbach: Die nordkoreanische Führung ist sehr um Geheimhaltung der inneren politischen Prozesse bemüht. In diesem Fall haben wir auch deshalb nicht viele Informationen, weil es wenig Vergleichsmaterial gibt: Der letzte Parteikongress war 1980.

Zur Person
Eric Ballbach ist Direktor der "Research Unit Nordkorea und internationale Sicherheit" am Institut für Koreastudien der FU Berlin. Seit 2017 ist er auch Gastwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Hungerkrise und internationale Lage

tagesschau.de: Warum ist das so lange her?

Ballbach: Die internationale Lage hat sich nach 1980 dramatisch verändert: Kollaps des Sozialismus in der Sowjetunion, Wiedervereinigung Deutschlands. Die 1990er-Jahre waren für Nordkorea extrem schwierig: Angefangen vom Tod des Staatsgründers bis hin zu dramatischen humanitären und wirtschaftlichen Krisen, die dazu geführt haben, dass ebenfalls kein Parteikongress stattgefunden hat. In den 2000er-Jahren ist es schon schwieriger zu bewerten, warum kein Parteitag stattgefunden hat. Das mag an der internationalen Konfrontation und dem Nuklearprogramm gelegen haben.

Zum Anderen hat Kim Jong Il selbst sehr viel stärker auf das Militär als zentrale politische Instanz gesetzt als auf die Partei. Die Bedeutung der Partei trat in seiner Herrschaftsperiode in den Hintergrund. Er hat unter internationale Verträge nicht im Namen des Generalsekretärs der Partei unterzeichnet, sondern im Namen des Vorsitzenden der Nationalen Verteidigungskommission. Das zeigt, wie stark er das Militär gestützt hat. Kim Jong Un scheint da einen anderen Kurs zu fahren. Er geht wieder stärker auf die formellen Parteistrukturen ein. Der Parteitag bringt die lokale Basis mit der Führungselite zusammen.

"Parteitag als politisches Spektakel"

tagesschau.de: Was erwarten Sie von dem Parteikongress?

Ballbach: Der Parteitag ist als politisches Spektakel ausgelegt. Der letzte Kongress 1980 hat genau das gezeigt. Dort wurde die neue Ordnung von Nordkoreas Erbherrschaft öffentlich gemacht, in dem King Jong Il öffentlich als Nachfolger präsentiert wurde. Diese Art von politischem Spektakel stellt ein zentrales Element in Nordkoreas politischer Ordnung dar, die von manchen Beobachtern auch als moderner Theater-Staat bezeichnet wird. Kim Jong Un setzt ungleich stärker als sein Vater auf öffentliche Reden. Das heißt, er sucht weitaus mehr die Bühne, um seine Selbstinszenierung zu betreiben. Parteikongresse sollten sich um die Partei drehen, hier ist aber zu erwarten, dass es sich in erster Linie um den Machthaber dreht.

tagesschau.de: Welche Rolle spielt das für die nordkoreanische Propaganda?

Ballbach: Das ist sehr wichtig. Hier wird das Bild eines fest im Sattel sitzenden Kim Jong Un gezeichnet. Wir können erwarten, dass das in der Propaganda in Bildern und Texten ausgeschlachtet wird. Wenn das Ganze als politisches Spektakel angelegt ist, muss man sich fragen: Wer sind die Zuschauer? Das ist in erster Linie das innere Publikum in Nordkorea. Alle Staatsmedien werden voll sein von Bildern und Texten über den Parteitag und Kim Jong Un. Aber auch ausländische Beobachter werden dort sein. International will man damit das Signal aussenden, dass die Herrschaft gefestigt ist.

Kim Jong Il auf dem Parteitag in Nordkorea im Jahr 1980

Kim Jong Il auf dem bislang letzten Parteitag in Nordkorea im Jahr 1980. Er wird öffentlich als Nachfolger vorgestellt.

Könnte ein Politikwandel angekündigt werden?

tagesschau.de: In welche Richtung wird der Parteitag inhaltlich gehen?

Ballbach: Auf der einen Seite besteht die Möglichkeit, dass die alte Ordnung stabilisiert wird. Es wird eine Art öffentliche Krönungszeremonie von Kim Jong Un geben, der in seinem fünften Jahr als Machthaber ist und innenpolitische Widersacher ausgeschaltet hat. Er kann damit zeigen, dass er seine Macht konsolidiert hat. Auf der anderen Seite könnte tatsächlich ein Politikwandel angekündigt werden. In der Sowjetunion wurden maßgebliche politische Inhalte auf Parteitagen verkündet. Bei Nordkorea bin ich skeptischer, weil die Struktur des nordkoreanischen Systems umfassenden Reformen zuwider steht.

tagesschau.de: Welche Themen könnten denn auf der Tagesordnung stehen?

Ballbach: Es ist sehr wahrscheinlich, dass es Veränderungen beim politischen Personal gibt. Dabei wird man sehen, ob eine jüngere Generation die alte Garde auf wichtigen Posten ablöst. Eine Rolle des Parteitages ist die Festlegung von Mehrjahresplänen. Kim Jong Un vertritt die Strategie der simultanen Entwicklung der nationalen Verteidigungskraft im Sinne des Nuklear- und des Raketenprogramms sowie die parallele Entwicklung der Wirtschaft. Angesichts dessen, dass Nordkorea in der jüngsten Vergangenheit Raketen- und Nukleartests durchgeführt hat, besteht die Möglichkeit, dass der Schwerpunkt nun auf wirtschaftliche Entwicklung gesetzt wird. Der Atomtest und die Raketentests passen zusammen mit dem Parteikongress in die Reihe der Propaganda-Veranstaltungen. Das sind zwei Seiten der gleichen Medaille.

System an seinen Grenzen?

tagesschau.de: Vor anderthalb Jahren haben wir mit einem Kollegen von Ihnen ein Interview geführt. Er sagte damals: "Der Tag wird kommen, an dem Kim Jong Un erkennen wird, dass der eigentliche Fehler das System an sich ist." Kommt dieser Tag noch?

Ballbach: Das lässt sich schwer voraussagen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Art von politischem System, wie wir es in Nordkorea beobachten, irgendwann an seine Grenze gelangt. Nur würde ich davor warnen, dass wir das Abwarten auf diesen Tag als Strategie begreifen. Das ist genau das, was wir leider in den USA sehen können. US-Präsident Barack Obamas Initiative der strategischen Geduld hat nicht dazu geführt, dass wir einer Lösung der Probleme auf der koreanischen Halbinsel näher gekommen sind. Wir müssen zwar auf den Tag X vorbereitet sein, wir dürfen nicht darauf warten. Wir haben keine langfristige Strategie.

tagesschau.de: Was empfehlen Sie statt des Wartens?

Ballbach: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es nur dann Fortschritte mit Nordkorea gegeben hat, wenn wir einen Dialog geführt haben. Nordkorea hat gezeigt, dass es mit Sanktionen nicht nur umgehen kann, sondern dass es die Sanktionen in der innenpolitischen Propaganda geschickt einsetzt, um die eigenen Machtstrukturen aufrecht zu erhalten.

Das Gespräch führte Barbara Schmickler, tagesschau.de.

Das Interview führte Barbara Schmickler

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Dradio Wissen am 06. Mai 2016 um 07:35 Uhr