EU und Nordafrika beraten Wie Flucht über das Mittelmeer verhindern?
Auf Initiative Italiens beraten nordafrikanische und europäische Staaten - wieder einmal - über Migration und Schlepperkriminalität. Mit dabei auch Innenminister Seehofer. Sein Thema: die Reform der EU-Flüchtlingspolitik.
"Wir brauchen Hilfe. Wir brauchen Hilfe von Malta, von Italien, von Europa für diese Migranten!"
Der Mann, der so um Hilfe ruft, heißt Mohammad Shaaban. Er ist Kapitän eines libanesischen Viehfrachters und nimmt in diesen Wochen im Mittelmeer Transporte von Spanien nach Libyen vor. Anfang Juli - als er ohne Fracht zurück nach Spanien fuhr - sei er vom maltesischen Rettungszentrum angewiesen worden, Flüchtlinge aus einem Schlauchboot zu retten, sagt er in einem Telefoninterview.
Als ein Sturm aufzog, habe er die Migranten unter Deck in die Tierställe bringen müssen, erzählt er weiter. "Die Ställe sind dreckig. Und eigentlich für Tiere, nicht für Menschen gemacht." Insgesamt fünf Tage lang ließen ihn die maltesischen Behörden mit 50 Migranten vor ihrer Küste allein. Auch Italien fühlte sich nicht zuständig. Erst als dem Kapitän Essen und Wasser ausgehen, holten sie die Menschen an Land.
Immer wieder müssen Frachter und Schiffe von Hilfsorganisationen warten, bis sie gerettete Flüchtlinge in einen Hafen bringen können. Teils wochenlang. Weil Malta oder Italien verlangen, dass auch andere EU-Staaten einen Teil der Menschen aufnehmen. Eine staatliche Seenotrettung gibt es seit Jahren nicht mehr. Keiner weiß, wie viele Flüchtlingsboote überhaupt entdeckt werden und wie viele Menschen unbemerkt sterben.
Drittstaaten sollen eingebunden werden
Die EU-Staaten aber wollen nicht etwa die Seenotrettung wieder aufnehmen, sondern "die Partnerschaft mit den nordafrikanischen Staaten verstärken", wie es in einem Schreiben des Bundesinnenministeriums heißt. Die nordafrikanischen Staaten sollen verhindern, dass sich Flüchtlinge Richtung Europa auf den Weg machen.
Am Montag findet dazu eine von Italien ausgerichtete Videokonferenz statt. Teilnehmer sind auf europäischer Seite neben Italien auch Deutschland, Spanien, Malta und Frankreich. Auf nordafrikanischer Seite sind es Libyen, Tunesien, Algerien, Marokko und Mauretanien. Außerdem ist die EU-Kommission vertreten.
Die EU unterstützt jetzt schon zum Beispiel Libyen dabei, Boote mit Migranten wieder zurück zu holen. Eine Praxis, die von Menschenrechtsorganisationen und auch vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) kritisiert wird, weil in Libyen Bürgerkrieg herrscht und Migranten dort oft in Folterlagern gefangen gehalten oder zu Sklavenarbeit gezwungen werden.
Hat sich viel vorgenommen: Innenminister Horst Seehofer will während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die gemeinsame Asylpolitk reformieren.
Seehofer will EU-Asylreform vorantreiben
Die Zusammenarbeit mit Nordafrika zu stärken, gehört auch zum Arbeitsprogramm von Bundesinnenminister Horst Seehofer für die nächsten sechs Monate unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Er würde gerne die Gesamtreform der EU-Asylpolitik vorantreiben. Die steckt seit Jahren fest, weil sich die Mitgliedsstaaten bei der Verteilung der Flüchtlinge nicht einigen können. Einige Staaten sträuben sich vehement, auch nur eine Handvoll aufzunehmen. Obwohl die Zahl der ankommenden Flüchtlinge im Mittelmeerraum seit 2015 laut UNHCR um fast 90 Prozent gesunken ist.
Bei einem Treffen mit seinen EU-Amtskolleginnen und -kollegen vergangene Woche zeigte sich Seehofer allerdings vorsichtig optimistisch, dass man bei der Verteilung eine Lösung finden könnte.
Neuer Vorschlag der EU-Kommission
Einen neuen Vorschlag zur Reform des europäischen Asylsystems will die EU-Kommission im September präsentieren, nachdem der Termin in der Vergangenheit mehrfach verschoben wurde. Darin wird sich wahrscheinlich auch eine alte Idee wiederfinden: Die Prüfung auf Asylanspruch bereits an den Außengrenzen der EU.
Flüchtlingsorganisationen sehen das kritisch. Man sehe auf der griechischen Insel Lesbos, dass das nicht funktioniere. Hier prüfen neben griechischen Beamten auch Mitarbeiter der Europäischen Asylagentur EASO die Anträge. Trotzdem sitzen seit Jahren Tausende Menschen in einem Elendslager fest und warten auf ihren Bescheid. Weil es am Ende doch zu viele Antragsteller an einem Ort sind.
Flüchtlinge erreichen die griechischen Inseln. Viele kommen gar nicht so weit, sondern werden zurück in türkische Gewässer gebracht.
Berichte über rechtswidrige "Push-Backs"
Damit nicht noch mehr Flüchtlinge auf den griechischen Inseln ankommen, schützt die Küstenwache die Grenze zur Türkei offenbar auch mit sogenannten Push-Backs. Bedeutet, dass die Flüchtlinge nicht an Land gebracht werden, sondern in ihren Booten wieder in türkische Gewässer gezogen werden. Das widerspricht geltendem Recht.
Der grüne Europaabgeordnete Erik Marquardt bekommt darüber regelmäßig Berichte und Handyvideos aus der Region. "Es ist in den letzten Monaten sehr offensichtlich, dass Griechenland alles versucht, damit Menschen nicht die griechische Küste erreichen, um dann Asyl zu beantragen. Es werden Boote angegriffen, also ihre Motoren sabotiert oder gestohlen. Mitten in der Nacht lassen sie die Leute dort dann einfach auf dem Wasser zurück", sagt er.
Die Vorwürfe sind alarmierend. Das UNHCR forderte eine Untersuchung und auch die EU-Kommission zeigte sich besorgt. Ob sich am Ende die Situation an der griechischen Küste verändert, wird auch ein Stück weit vom Ergebnis der Konferenz am Montag abhängen.