Übergriffe im Netz Mexikanerinnen wehren sich gegen digitale Gewalt
Gewalt gegen Frauen gehört zum bitteren Alltag von Mexikanerinnen. Ein weiteres Problem, das nur wenig thematisiert wird: Übergriffe im Netz, wie die Verbreitung von Nacktaufnahmen. Doch Betroffene wehren sich zunehmend.
Dreimal hat sie versucht sich umzubringen, erzählt Olimpia Coral in einem Interview mit der mexikanischen Journalistin Mónica de la Garza. Als ihr eigener Freund intime Aufnahmen von ihr öffentlich machte, wurde ihr Alltag unerträglich. Damals war sie 18 Jahre alt. Von einem Tag auf den anderen wurde ihr Privatleben öffentlich: Sie war nur noch die Schlampe, die Nackte des Dorfes, die sich filmen ließ: "Alles was ich war - meine Haare, mein Mund, meine Haut, mein Name, alles wurde nur noch mit dem Sexvideo assoziiert. Morgens wenn ich aufwachte, dachte ich mir: Hoffentlich sterbe ich heute."
Ein Sexvideo zerstörte ihr Leben
Coral wurde zum Hashtag, Pornoseiten veröffentlichten das Video. Hunderttausende sahen sich das Video an, teilten es weiter. Sie kommt aus einer kleinen Stadt, Huauchinango, im mexikanischen Bundesstaat Puebla. Alle wussten, wer sie war, kannten ihre Familie, wie sie erzählt. Sie ging nicht mehr zur Schule, irgendwann auch nicht mehr zur Arbeit.
Es dauerte, bis sie sich endlich aufraffte und versuchte, Anzeige zu erstatten. Der Beamte wollte das Video sehen, erinnert sie sich. Er habe seine Kollegen dazugerufen. Am Ende waren es zwölf, die sich über das Video beugten. Sie spotteten und machten sich lustig. Und dann die Aussage des Polizisten, sie sei ja volljährig und nicht vergewaltigt worden, da könne er nichts tun, berichtet sie in einem mexikanischen Podcast. Einmal mehr wurde sie erniedrigt - ihr wurde die Schuld daran gegeben, was ihr widerfahren war.
2.500 Fälle von digitaler Gewalt
Die mexikanische Organisation "Luchadoras" versucht, Frauen zu helfen, sich gegen digitale Gewalt zu wehren, wenn ihre Bilder manipuliert, Videos verbreitet werden. Die Mitarbeiter versuchen zu sensibilisieren und geben Workshops, damit Frauen sich besser schützen, erklärt die Psychologin des Teams Alicia Reynoso. Es seien vor allem Frauen und Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren, die Hilfe suchten.
Für sie geht es darum, den Frauen die Schuldgefühle zu nehmen. Denn es werde die Vorstellung verbreitet, dass die Frauen selbst daran schuld seien. Dass sie etwa das Bild oder das Video hochgeladen hätten, wird ihnen unterstellt, um die Männer zu verführen. Viele Frauen haben das Gefühl, dass sie es verdient hätten.
Laut Informationen der Nationalen Daten- und Informationsbank für Fälle von Gewalt gegen Frauen wurden zwischen Januar 2022 und Mai dieses Jahres 2.515 Fälle von digitaler Gewalt registriert. Für die Opfer ist es schwierig, Anzeige zu erstatten. In den Gesetzbüchern gab es bislang keine entsprechenden Paragraphen. Es gibt kaum oder gar keine spezialisierten Einheiten, um Fälle von digitaler Gewalt aufzuklären. Und genau dafür kämpft Olimpia Coral mit weiteren Aktivistinnen.
"Ley Olimpia" – Ein Gesetz trägt ihren Namen
Mittlerweile trägt ein Gesetz sogar ihren Namen: "Ley Olimpia". Es ist inzwischen in 29 Bundesstaaten anerkannt und wurde kürzlich auch in Argentinien verabschiedet. Es kam auch in einem aktuellen Fall zur Anwendung. Ein Student des Nationalen Polytechnischen Instituts in Mexiko-Stadt soll Fotos von Kommilitoninnen aus sozialen Netzwerken heruntergeladen haben, um sie mit Künstlicher Intelligenz zu manipulieren und als Nacktfotos zu verkaufen. Acht Frauen haben geklagt. Nach großem und vehementem Druck ist es nun der erste strafrechtlich untersuchte Fall, bei dem Künstliche Intelligenz zum Einsatz kam und das Gesetz angewendet wird.
Für Coral ist das nach jahrelangem Kampf ein ganz persönlicher Erfolg. "Ich bin nicht mehr die Olimpia aus dem Sexvideo. Für mich ist Gerechtigkeit, dass ich den Algorithmus geändert habe. Wenn man heute meinen Namen im Internet eingibt, findet man nicht dreihundert Pornoseiten, sondern dreihundert Seiten darüber, wie wir die Gesetze verändern. Ein Gesetz, das Frauen erlaubt, Anzeige zu erstatten. Heute bin ich Olimpia - die mit Gesetz."