Merkel besucht Georgien Von Geduld und Erwartungen
In Georgien, der ersten Station ihrer Südkaukasus-Reise, wird Kanzlerin Merkel mit Erwartungen konfrontiert. Einst hatte sie dort vom NATO-Beitritt gesprochen. Doch der ist so fern wie ein EU-Beitritt.
"Georgien wird, wenn es das will, Mitglied der NATO werden" - 2008 sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel diese Worte in der georgischen Hauptstadt.
Eine Dekade mit tiefgreifenden internationalen Veränderungen später kommt die Kanzlerin wieder nach Tiflis. Doch wie damals stehen NATO und EU ganz oben auf der Liste der Gesprächsthemen nicht nur des Ministerpräsidenten und des Präsidenten Georgiens.
Die Integration in beide Organisationen bleibt außenpolitisches Ziel Georgiens, auch wenn sich einiges in der politischen Landschaft der Republik im Südkaukasus geändert hat. Denn es entspricht dem Wunsch einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, wie Umfragen seit Jahren ergeben. Ein alternatives Bündnis oder eine andere Schutzmacht gibt es für Georgien nicht.
Die Hauptstadt Tiflis nahm seit 2004 einen enormen Aufschwung und lockt auch viele Touristen an.
Das Wann bleibt offen
Doch damals wie heute lässt die Kanzlerin die Frage offen, wann der NATO-Beitritt kommt. Das Thema stehe nicht oben auf der politischen Tagesordnung, heißt es dazu seit Jahren.
Das grundsätzliche Ja ohne konkrete Beitrittsperspektive war Ergebnis hitzig geführter Debatten während des NATO-Gipfels in Bukarest im Frühjahr 2008. Zufriedengestellt werden sollten die Ambitionen der US-Regierung unter George W. Bush, ohne dass die russische Führung dies als Provokation auffassen sollte.
Was jedoch folgte, war eine Zunahme der Spannungen um zwei abtrünnige Regionen Georgiens. Sie führten im August 2008 zu einem Angriff der georgischen Armee auf Südossetien und einem russischen Militäreinsatz tief in georgisches Territorium hinein.
Während Zehntausende Einwohner fliehen mussten, blieb die russische Armee in Südossetien und Abchasien. Sie baute Militärbasen auf, dies unter Missachtung einer von der EU ausgehandelten Friedensvereinbarung. Bis heute verwehrt die russische Armee den Beobachtern einer EU-Mission den Zugang zu den beiden Gebieten. Merkel wird davon bei einem Besuch an der Grenzlinie zu Südossetien zu hören bekommen.
Merkel wird auch die Grenzlinie zu Südossetien besuchen, wo russische Truppen in den vergangenen Jahren Stacheldraht und Zäune errichteten.
Ein unerfülltes Versprechen
Seit damals fehlt der Druck auf die russische Führung, die Friedensvereinbarungen einzuhalten. Ebenfalls nicht offen ausgesprochen wird, dass angesichts der militärischen Realitäten im Südkaukasus das NATO-Versprechen unerfüllbar sein könnte, obwohl Georgien erhebliche Anstrengungen unternimmt.
Derzeit sind 870 georgische Soldaten an der NATO-Mission "Resolute Support" in Afghanistan beteiligt, wobei die Georgier auch unter deutschem Oberbefehl mit der Bewachung der Militärbasen und mit Patrouillen besonders gefährliche Aufgaben ausführen. 32 georgische Soldaten ließen bisher beim Afghanistan-Einsatz ihr Leben.
Mehrere NATO-Staaten engagieren sich für eine Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten Georgiens, ohne dass Russland dies als Provokation auslegen könnte. Dazu dient auch ein "substanzielles NATO-Georgien-Paket", an dem sich die Bundeswehr beteiligt. Zum zweiten Mal nahmen kürzlich Bundeswehrsoldaten am jährlichen Militärmanöver "Noble Partner" auf einem Militärgelände östlich von Tiflis teil. Sonst aber heißt es, man möge sich in "strategischer Geduld" üben. Das lässt sich der georgischen Bevölkerung allerdings schwer vermitteln.
Bundeswehrsoldaten nahmen am Manöver "Noble Partner" teil.
Besser als manche EU-Staaten
In Geduld dürften sich die Georgier auch beim Thema EU fassen. Zwar ist das Ressentiment Russlands in diesem Fall geringer und Georgien erhielt bislang keine Beitrittszusage. Aber der Staat arbeitet an der Erfüllung umfangreicher Bedingungen im Rahmen eines EU-Assoziierungs- und eines Freihandelsabkommens, für das er EU-Gelder bekommt.
Dabei ist Georgien so gut, dass es nicht nur EU-Kandidaten vom Balkan hinter sich lässt, sondern auch einige EU-Staaten. So steht Georgien beim "Doing Business"-Index der Weltbank und beim Korruptionswahrnehmungsindex besser da als Italien, Griechenland oder Rumänien. Hinsichtlich der Pressefreiheit liegt Georgien vor Ungarn, Malta und Kroatien.
Allerdings bleibt erheblicher Reformbedarf in der Justiz, beim Arbeitsrecht, im Sozialsystem und im Finanzsektor. Mangelnde soziale Absicherung, Verschuldung und Perspektivlosigkeit sind Faktoren, die zu einer relativ hohen Asylbewerberquote aus Georgien in der EU beitrugen.
Ein Anstieg im vergangenen Jahr führte zu Forderungen, die gerade gewährte Visaliberalisierung für die EU wieder aufzuheben. Doch die georgische Regierung reagierte zügig. Inzwischen ist die Zahl der georgischen Asylbewerber in Deutschland wieder deutlich gesunken. Auch kooperieren die Behörden erfolgreich bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität in der EU.
Georgien und auch das Nachbarland Armenien, das Merkel am Freitag besuchen wird, gehören zu den Staaten, die auf Zusammenarbeit mit der EU und Demokratie setzen.
Doch fehlt es an Perspektiven, die den Erwartungen der Bevölkerung Georgiens entsprechen und die über Jahre auch aus EU und NATO geschürt wurden. So hört man in Georgien immer häufiger die enttäuschte Frage, ob die geografische Lage ausschlaggebend sein darf für das Schicksal eines Landes.