Rückzug im Brexit-Chaos Niemand sollte Mitleid mit May haben
Ihre Aufgabe war fast unlösbar, doch Theresa May hat sich beim Brexit viel zu schnell und ohne Not festgelegt, meint Annette Dittert. Zurück bleibe ein tief gespaltenes Land in einer seiner größten Krisen.
Und am Ende hat sie dann doch geweint. Theresa Mays Abschied heute morgen war schmerzhaft mitanzusehen. Nach Thatcher ist sie nun die zweite weibliche Premierministerin, die das Amt in Tränen verlässt. Dennoch: Mitleid sollte niemand mit ihr haben. May ist auf ganzer Linie gescheitert. Und schuld daran ist im Wesentlichen sie selbst.
Ja, sie stand von Beginn an vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Der Brexit ist nicht umsetzbar, ohne dem Land wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Aber die Art und Weise, wie May diese Aufgabe angegangen ist, hat die Situation Großbritanniens dramatisch verschlimmert. Spätestens seit dem spektakulären Scheitern ihres Deals im Dezember war ihr Festhalten daran nur noch ein sinnloses Spiel auf Zeit, ohne Vision und Richtung. Sie sei "a bloody difficult woman", erklärte sie stolz der Presse und versuchte damit an Thatchers Vermächtnis als "Eiserne Lady" anzuknüpfen. Aber wo Thatchers Sturheit mit einem pragmatischen Sinn für das Mögliche daherkam, hatte die der Theresa May mit Vernunft schon bald nicht mehr viel gemein.
May trat Artikel 50 und damit den Austrittsprozess zu einem Zeitpunkt los, als sie selbst noch nicht wusste, wohin die Reise gehen sollte und wie man den Brexit überhaupt verhandeln könnte. Sie selbst, die vor dem Referendum noch für den Verbleib in der EU war, warf sich gleich nach ihrem Amtsantritt 2016 in die Arme der Ultra-Brexiteers, da sie glaubte, in ihrer Partei nur so an der Macht bleiben zu können.
Ohne Not und viel zu schnell festgelegt
Um dem rechten populistischen Flügel ihrer Partei zu gefallen, machte sie dann aus dem Referendum allzu bereitwillig ein Votum für die Rückbesinnung auf den englischen Nationalismus. Aus der Vielzahl der Motive identifizierte sie die ausländerfeindliche Stimmung im Land als das Hauptmotiv und erklärte die Kontrolle der Grenzen um jeden Preis zum Willen des Volkes. Dabei hatte der Ausgang des Referendums viele Gründe, die meisten davon hatten mit der EU wenig zu tun. In ihrer Interpretation aber wurde so das Ende der Arbeitnehmerfreizügigkeit über Nacht zu einem zentralen Motiv des Brexit-Votums, und damit legte sie sich viel zu schnell und ohne Not auf den Austritt aus dem Binnenmarkt fest.
Denn das eine geht nun mal nicht ohne das andere. 2017 schließlich rief sie Neuwahlen aus, die mit dem Verlust ihrer Mehrheit im Parlament endeten. Spätestens jetzt hätte May parteiübergreifend für eine Lösung werben müssen, um das Land vor eben jener Katastrophe zu bewahren, auf die die Briten nun zusteuern. Aber ein kooperativer Führungsstil war ihre Sache nicht. Stattdessen nutzte sie das Schreckensszenario eines "No Deal", um die Parlamentarier an Bord ihres Deals zu zwingen. Stattdessen spaltete sie das Land noch tiefer, indem sie die nationalistischen Parolen des rechten Rands ihrer Partei immer wieder in den Mittelpunkt ihrer Rhetorik stellte.
Brüssel wird keinen anderen Deal mehr verhandeln
Zeiten wie diese brauchen politische Führer, die mit Demut Charme und Überzeugungskraft ihr Land einen können. May besaß keine dieser Eigenschaften. Stattdessen wiederholte sie nur immer wieder ihr ewig gleiches Mantra, wie ein fehlerhafter Roboter, bis am Ende ihre Partei den Strom abstellte. Und dabei hatte May in einer Hinsicht recht: Brüssel wird keinen anderen Deal mehr verhandeln, und die Insel droht daran zu zerbrechen. Das, was jetzt kommt, ein neuer Tory-Parteichef und Premier, der das Land noch stärker auf Konfrontationskurs bringen wird. Er dürfte die verfahrene Lage noch näher an das Kliff eines chaotischen Brexits heranführen, als May es wagen wollte.
Aber dass es nun tatsächlich so weit kommen kann, hat sie sich selbst zuzuschreiben. May selbst hat durch ihre mutlose Sturheit das Ausmaß dieser größten Krise des Königreichs erst herbeigeführt.