Evangelischer Pfarrer im Westjordanland Wie ein christlicher Palästinenser den Krieg erlebt
Nach dem Überfall der Hamas scheint der Frieden zwischen Israelis und Palästinensern weiter entfernt denn je. Auch die Lage im israelisch besetzten Westjordanland sei angespannt, berichtet der Pastor einer evangelischen Gemeinde.
Früher Nachmittag in den Gassen von Beit Jala: Die 12.000-Einwohner-Stadt grenzt an Bethlehem. Liegt im palästinensischen Westjordanland, wenige Kilometer südlich von Jerusalem.
Wer hierher will, der muss Checkpoints der israelischen Armee passieren. Die meisten davon: Seit dem 7. Oktober geschlossen. Das macht das Leben der Menschen mitunter kompliziert. Auch das von Ashraf Tannous. Der evangelische Pfarrer kommt täglich aus Jerusalem hierher.
Die evangelische Kirche von Pastor Ashraf Tannous in Beit Jala im Westjordanland.
Krieg kein Thema für Predigt
Auch an diesem Tag sperrt er die hölzerne Kirchentür auf. Ein Teppich dämpft seine Schritte. Die Predigt für die Messe am Sonntag hat Ashraf Tannous schon vorbereitet. Um Politik soll es nicht gehen. Nie -trotz der Lage, trotz des Ortes an dem er sie halten wird:
Ich verkünde nur spirituelle Nachrichten, denn in dieser Situation heute gibt es so viele offene Fragen und wenn wir als Pastoren nun auch über Politik reden, entfernen wir uns von Gott. Und außerdem muss ich die Hoffnung wecken: Lehren, wie man hoffen und lieben kann in einer sehr schwierigen Situation.
In unserem Gespräch aber soll es um Politik gehen. Darum, wie sich Ashraf Tannous fühlt als christlicher Palästinenser. Wie es seiner Gemeinde geht - mit ihren rund 600 Mitgliedern.
"Wir leben in einer sehr schwierigen Situation. Wir wissen nicht, was die kommende Minute für uns bringt oder der morgige Tag", sagt der Pfarrer.
Enttäuscht von internationaler Diplomatie
Ein Jahr lang war Ashraf Tannous weit weg von seiner Heimat. Als Vikar arbeitete er im Kreis Gütersloh in Nordrhein-Westfalen. Er ist enttäuscht von der internationalen Diplomatie. Auch von Deutschland. Erwartungen an den Besuch von Außenministerin Baerbock in der Region habe er keine, sagt er.
Die palästinensische Zivilbevölkerung spiele eine untergeordnete Rolle in der Debatte über die Lage im Nahen Osten, so seine Wahrnehmung. "Ich fühle, dass wir nicht als normale Menschen angesehen werden. Wenn Palästinenser getötet werden, ist das egal. Aber das ist es nicht!" Mit dieser Empfindung ist der evangelische Pfarrer nicht allein.
Kaum noch Touristen wegen des Kriegs
Ein Besuch in der Werkstatt von Jack Giacaman im nahen Bethlehem: Ein Arbeiter schnitzt mit elektrisch betriebenem Werkzeug eine Figur aus Olivenholz. In langen Regalen vor ihm: Die heiligen drei Könige, Schafe und Esel - Krippenfiguren. In normalen Zeiten ein Verkaufsschlager, doch wegen des Krieges bleiben die Touristen aus.
"Ich habe die Werkstatt geöffnet, damit meine Arbeiter hier zumindest an einigen Tagen etwas verdienen können. Ich habe ein gutes Team. Ich tue mein Bestes - auch, weil ich die guten Holzschnitzer nicht verlieren will. Wenn das passieren sollte, muss ich vielleicht zusperren", so Giacaman.
Macht er sich Hoffnungen auf die internationale Diplomatie? Giacaman winkt ab. Weder die EU noch die USA hätten sich bislang gegen Israel durchsetzen können. Er fühlt sich bedroht von schwer bewaffneten israelischen Siedlern im Westjordanland. Schutz gebe es keinen. Und noch immer gelange zu wenig humanitäre Hilfe in den Gazastreifen, lautet sein Vorwurf:
Sie haben nicht genug Macht, den Krieg zu beenden, wenn sie noch nicht einmal den Kindern helfen können. Helft keinesfalls der Hamas! Aber helft den Kindern mit Essen, Wasser und Medizin!
Hoffnung auf gerechten Frieden
Giacaman wirkt verbittert. Pfarrer Ashraf Tannous hingegen sucht nach versöhnlichen Worten. Er möchte nur ein normales Leben, ein menschenwürdiges für die Palästinenser im Heiligen Land: "Wir sind Leute, die eine bessere Zukunft suchen. Wir möchten keine Gewalt. Wir reden über Frieden, Gerechtigkeit und Gleichheit. Das muss die ganze Welt auch anerkennen, dass es hier Leute gibt, die keine Rechte haben und dass deswegen Gewalt passiert."
Die Lösung für ihn: Ein gerechter Frieden; ein Staat, in dem alle leben können. Als gläubiger Mensch sei das für ihn vorstellbar, so Tannous. Ob es auch politisch je möglich sein wird? Diese Frage könne er nicht beantworten, sagt der Pfarrer und blickt vom Dach seiner Kirche übers israelisch besetzte Westjordanland.