Zwischenbilanz für EU-Kommissionschef 100 Tage Juncker - und nun?
Seit 100 Tagen ist die neue EU-Kommission im Amt. Ihr Chef, Jean-Claude Juncker, war anfangs höchst umstritten: Er sei amtsmüde, stehe nicht für einen Aufbruch. Jetzt ist Zeit zu fragen: Wie macht er sich?
Kommission der "letzten Chance” - so bezeichnete Jean-Claude Juncker Anfang November vergangenen Jahres seine neue Mannschaft. Er wollte Europa den Europäern näher bringen und für Bewegung in Europa sorgen. Als Kommissionschef will Juncker Europa ein soziales Gesicht geben. Als Regierungschef von Luxemburg schuf er ein System mit, das milliardenschwere Steuergeschenke an internationale Konzerne verteilt.
Kein Ruck durch Europa
Juncker sagt, er wolle auf Menschen zugehen. Aber wenn eine Bürgerinitiative europaweit über eine Million Unterschriften gegen das geplante Freihandelsabkommen sammelt, hat dieses Votum keine Auswirkung. Juncker hat in den ersten 100 Tagen keinen Ruck durch Europa gehen lassen. Aber er hat einige Dinge angestoßen, zum Beispiel ein Investitionspaket: "Jeder für diesen Fonds bereit gestellte Euro aus öffentlichen Mitteln kann 15 Euro an Investitionen mobilisieren."
Der neue Geldtopf soll private Investoren anlocken und so Investitionen von insgesamt rund 300 Milliarden Euro anschieben. Das soll Wachstum und Arbeitsplätze bringen - und zufriedene Europäer. Der richtige Weg, meint Politikwissenschaftler Janis Emmanouilidis vom European Policy Center in Brüssel.
Viele offene Fragen beim Investitionspaket
Zweifel hat er allerdings bei der Umsetzung: "Wird man tatsächlich derartige Mittel freisetzen können für Investitionen? Wie wird dieses Geld ausgegeben? Wird es tatsächlich dort ausgegeben, wo es am nötigsten ist? Also da stehen noch sehr viele offene Fragen und man wird sehen, ob es tatsächlich so erfolgreich sein wird wie die Erwartungen, die man damit geweckt hat."
Erwartungen haben auch die Griechen an die EU - und die EU an die Griechen. Der Schuldenstreit ist eine Herausforderung für die neue Kommission. Juncker fährt eine interessante Doppelstrategie. Streng: Schuldenschnitt ablehnen, Reformen fordern. Aber auch locker: mehr Zeit für die Schuldenrückzahlung und die Troika ersetzen.
Ein schwieriger Kompromiss, meint Politikwissenschaftler Emmanouilidis: "Die anderen Mitgliedsstaaten versuchen, ihre eigenen Interessen über dieses Vehikel Griechenland zu pushen. Das macht die Situation für die Kommission nicht einfach. Die Kommission kann hier eine vermittelnde Rolle wahrnehmen."
Erfahrene Kommissare und starke Basis
Könnte gelingen - denn Juncker hat seine Kommission konzentriert. Mehrheitlich erfahrene Politiker kümmern sich um die entscheidenden Themen. Und: Juncker hat eine starke Machtbasis im Europaparlament. Denn er ist als Spitzenkandidat durch die Europawahl ins Amt gekommen.
Diese Macht versucht Juncker zu nutzen - genauso wie seinen schrägen Charme. Juncker wirkt bereits nach 100 Tagen kantiger, widerborstiger aber auch eigenwilliger als sein Vorgänger, meint Emmanoulidis: "Herr Juncker ist auch mal bereit, gegen den Strich zu kämmen."
Und doch wird er wissen, dass er zwar ein mächtiger Mann ist, aber ein Herrscher ohne Volk und Land. Das aber haben die Staats- und Regierungschefs. Und mit ihnen muss er auskommen - mehr als 100 Tage.