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Erfolgsaussichten der Vereinbarungen von Minsk "Es gibt viele Stolpersteine"

Stand: 12.02.2015 16:09 Uhr

Besonders für den ukrainischen Präsidenten Poroschenko enthalte die Vereinbarung von Minsk Zumutungen, urteilt Osteuropa-Experte Henning Schröder im tagesschau.de-Interview. Und es gebe viele Stolpersteine - der erste sei die Waffenruhe am Sonntag.

tagesschau.de: Nach dem Verhandlungsmarathon beim Ukraine-Krisengipfel liegt jetzt ein Ergebnis vor - was ist davon zu halten?

Henning Schröder: Es liegen jetzt zwei Papiere auf dem Tisch: Ein 13-Punkte-Plan zu Regelungen für die Ostukraine und eine Erklärung der vier Gipfel-Teilnehmer zur Gestaltung der zukünftigen Beziehungen zwischen der Ukraine, der EU und Russland. Dieser zweite Teil ist quasi ein Angebot, Russland wieder in den politischen Kreis Europas aufzunehmen.

Der 13-Punkte-Plan sieht relativ genau, auch mit Zeitplänen, eine ganze Reihe von Maßnahmen vor, wie der Konflikt in der Ostukraine beendet werden soll. Das schließt an das Minsker Abkommen vom September 2014 an, präzisiert es und legt auch fest, dass zum Beispiel die OSZE mit allen technischen Mitteln, also auch Drohnen, die Grenze überwachen kann. Und der Plan legt fest, dass in der Ostukraine Wahlen stattfinden werden und dass von da ab die Regierung in Kiew die ukrainisch-russische Grenze kontrollieren darf.

Sowohl die russische als auch die ukrainische Seite haben Zugeständnisse gemacht. Wenn das funktioniert in den kommenden Tagen, dann wäre das sicher der Beginn eines politischen Prozesses, der diesem Konflikt die Schärfe nehmen könnte.

Zur Person
Prof. Dr. Henning Schröder leitete bis 2014 die Forschungsgruppe Russland/GUS der "Stiftung Wissenschaft und Politik". Er lehrte Politikwissenschaft (regionale Politikanalyse mit Schwerpunkt Osteuropa) an der FU Berlin und gibt den Newsletter Russland-Analysen heraus.

tagesschau.de: Welche Zugeständnisse musste die Ukraine machen?

Schröder: Das ist zum Beispiel der Verlauf der Demarkationslinie. Es war ja umstritten, ob es die vom ersten Minsker Abkommen vom September ist oder der jetzige Frontverlauf. Die Separatisten haben ja eine Offensive gefahren in den vergangenen Wochen und die Frontlinie nach Westen in Richtung Kiew verschoben. Nun hat man sich geeinigt, schwere Waffen abzuziehen ab dieser Demarkationslinie. Die Separatisten werden von der ersten Linie vom September abziehen, die Ukraine muss sich von der jetzigen Linie aus zurückziehen. Das heißt, die Ukraine akzeptiert im Prinzip diese militärisch geschaffenen Verhältnisse. Das ist für Präsident Petro Poroschenko sicher nicht leicht durchzusetzen in Kiew.

Das Zweite ist: Die Ukraine akzeptiert eine Art De-Facto-Souveränität dieser Staaten oder Pseudo-Staaten. Und Poroschenko ist damit beauftragt, das in Kiew auch in Form eines Gesetzes durch das Parlament zu bringen. Das wird noch mal ein Stolperstein. Es gibt eine Reihe von Punkten, an denen dieses 13-Punkte-Abkommen scheitern kann, und das ist einer davon. Es kommt darauf an, ob sich Poroschenko politisch durchsetzen kann.

tagesschau.de: Ist die Einigung praktikabel in Ihren Augen?

Schröder: Die Einigung ist sehr viel konkreter als das erste Minsker Abkommen. Sie enthält auch Zeitpläne, Verantwortliche werden benannt. Es gibt aber eine Reihe von Stolpersteinen. Das beginnt mit der Demarkationslinie, die muss konkret im Gelände festgelegt werden. Da ist zwar jetzt den OSZE-Beobachtern die Verantwortung übertragen worden und man hat ihnen auch alle Mittel zugesichert. Ob das vor Ort gelingt, ist eine andere Frage.

Ein weiterer Punkt ist die festgehaltene "Entwaffung aller ungesetzlichen Gruppen": Es gibt natürlich in diesem Gebiet eine ganze Reihe von Einheiten, die auf eigene Faust Krieg führen, egal auf welcher Seite, und die nicht unbedingt unter irgendeiner Kontrolle sind. All das sind konkrete Schwierigkeiten, wenn man im Gefechtsgebiet versucht, die heute getroffene Vereinbarung umzusetzen. Das wird nicht so einfach sein. Und da wird sich zeigen, wie weit der gute Wille auf ukrainischer und separatistischer Seite geht.

tagesschau.de: Warum ist die Vereinbarung jetzt zustande gekommen - hat möglicherweise die Drohung mit Waffenlieferungen an die Ukraine eine Rolle gespielt?

Schröder: Russland ist ja im Grunde in einer Sackgasse. Es ist in die Weltwirtschaft integriert und abhängig von Kapitalzuflüssen, Know-how-Zuflüssen und auch davon, dass es zu guten Preisen seine Energie exportieren darf. In all diesen Bereichen steht das Land unter Druck. Und es ist absehbar, dass sich im Frühjahr oder Sommer die soziale Situation deutlich verschlechtert. Man kann davon ausgehen, dass die innenpolitischen Schwierigkeiten der russischen Führung wachsen werden. Also ist die russische Führung an einer Lösung ohne Gesichtsverlust interessiert.

Die einzige Option, die sie immer hatte, war militärisch zu eskalieren - um Druck auf die Ukraine auszuüben, die diesen Krieg nur verlieren kann, weil sie wirtschaftlich und militärisch am Abgrund steht. Diese militärische Option ist mit den Diskussionen in den USA über Waffenlieferungen gefährlich geworden. Jetzt droht eine Verschärfung des Konflikts, der immer teurer wird. Und was Putin angeht: Da reisen zwei Regierungschefs an und bitten ihn, den Frieden herzustellen. Das ist psychologisch eine Situation, in der er in einem bestimmten Maße Zugeständnisse machen kann.

tagesschau.de: Wer sind die Gewinner der Vereinbarung?

Schröder: Wenn die Vereinbarung umgesetzt wird in den nächsten Tagen, wenn es eine langsame Rückkehr zur Normalität in der Ostukraine gibt und wenn die Flüchtlinge zurückkehren wollen - dann sind die Gewinner die Menschen in der Region. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Auf der anderen Seite: Die Situation könnte sich so entwickeln, dass wir ein zweites Transnistrien bekommen, also eine weitere Form von "frozen conflict" - wenn also nicht mehr gekämpft wird, es aber keinen Friedensvertrag gibt und der Konflikt jederzeit wieder bewaffnet ausgetragen werden könnte. Dann hätte in gewisser Weise die russische Seite gewonnen, die sich die Krim angeeignet hat und nun ein Instrument hat, um weiter auf die Ukraine Druck auszuüben. Geopolitisch gesehen hat Russland eindeutig Vorteile.

Überhaupt nicht berührt worden ist in Minsk die Frage der Sanktionen. Offensichtlich werden sie fortbestehen. Das ist auch sinnvoll, solange es keine wirkliche Lösung gibt und solange es auch keine Verhandlungen gibt über die Lösung der Krim-Frage.

tagesschau.de: Wie lange werden die Vereinbarungen Bestand haben?

Schröder: Jetzt müssen wir erstmal sehen, ob das Feuer eingestellt wird am Sonntag. Wenn es nicht eingestellt wird, ist es vorbei. Dann ist Minsk II denselben Weg gegangen wie Minsk I. Wenn das Feuer eingestellt wird, wenn die Waffen  zurückgezogen werden und wenn es gelingt, die Demarkationslinie zu markieren, dann kommt die nächste Frage: nämlich ob  die Separatistenführer in Donezk und Lugansk echte Wahlen zulassen mit OSZE-Beobachtung. Das wurde nämlich ausgehandelt. Dabei ergäben sich möglicherweise andere Ergebnisse als vor Kurzem bei den Pseudo-Wahlen. Ob die Separatistenführer dann bereits wären, wieder Macht abzugeben, ist die nächste Frage. Wir haben also ein Problem nach dem anderen, das gelöst werden muss. Und jetzt müssen wir erstmal sehen, ob dieses Papier dazu reicht, dass am Sonntag das Feuer eingestellt wird.

Das Interview führte Veith Hornig, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 12. Februar 2015 um 16:00 Uhr.