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EU-Maßnahmen in der Flüchtlingskrise Viel Aufwand, wenig Erfolg

Stand: 17.12.2015 05:30 Uhr

Etliche Maßnahmen hat die EU beschlossen, um der Flüchtlingskrise zu begegnen. Doch wie ist der Stand der Dinge bei den Hotspots, der Verteilung von Flüchtlingen und wo fehlt noch Geld? tagesschau.de beantwortet diese und andere Fragen.

Weiß man, wie viele Flüchtlinge bislang nach Europa gekommen sind?

Eine konkrete Zahl lässt sich kaum bestimmen – zu lückenhaft die Registrierung, zu unterschiedlich die Definition. Nicht jeder Flüchtling stellt zum Beispiel einen Asylantrag. Fest steht: Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hat in diesem Jahr so viele illegale Grenzübertritte wie noch nie gezählt. Bislang wurde 1,55 Millionen mal versucht, die EU-Außengrenze ohne gültige Papiere zu überwinden.

Unklar ist, ob es sich auch um 1,55 Millionen Menschen handelt. Einige Flüchtlinge dürften doppelt gezählt worden sein – vielleicht zuerst in Griechenland, später noch einmal in Ungarn oder Kroatien. In Deutschland wurden bis November mehr als 960.000 Asylsuchende verzeichnet. Der Großteil kommt aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.

Knapp 400.000 Menschen beantragten erstmalig Asyl in Deutschland. Zusammen mit den Folgeanträgen auf Asyl macht das einen Anstieg von um 134,2 Prozent aus, verglichen mit dem entsprechenden Zeitraum 2014. Laut UNHCR beantragten seit Beginn der Syrien-Krise fast 700.000 Syrer irgendwo in Europa Asyl.

Eurostat, das statistische Amt der Europäischen Union, meldete für das dritte Quartal 2015 eine Verdoppelung der Erstanträge, legt man die Zahlen aus dem zweiten Quartal zugrunde. 413.800 Asylsuchende hätten erstmals Schutz in einem EU-Land gesucht. Dabei hat sich die Zahl der Anträge von Syrern und Irakern gegenüber dem Vorquartal mehr als verdreifacht.

Wie will die EU ihre Außengrenze sichern?

Als Lehre aus der Flüchtlingskrise will die EU-Kommission einen europäischen Grenz- und Küstenschutz schaffen. Das Neue daran: Dieser Grenzschutz soll in Krisensituationen auch gegen den Willen von Mitgliedstaaten eingreifen. Von daher ist der Vorschlag höchst umstritten. Unter anderem hat Polen scharf protestiert.

Im Normalfall fordert ein Mitgliedsland den Einsatz des Grenzschutzes an. Nach den Kommissionsvorstellungen baut der europäische Grenz- und Küstenschutz auf der existierenden EU-Behörde Frontex auf und bekommt 1000 Mitarbeiter - doppelt so viele wie Frontex. Zudem soll es eine Reserve von mindestens 1500 Grenzschutzbeamten geben, die innerhalb kürzester Zeit in Mitgliedsländern entsandt werden können.

Den Plänen zufolge überwacht die neue Behörde selbst die Lage und bewertet die Risiken. Zeichnet sich ein Problem ab, werden Verbindungsoffiziere entsandt. Das veranschlagte Budget für die neue Behörde liegt im nächsten Jahr bei 238 Millionen Euro und soll 2017 auf 322 Millionen Euro ansteigen.

Sind die Hotspots inzwischen arbeitsfähig?

Auf Nachfrage von tagesschau.de teilte die Bundesregierung mit, die Hotspots befänden sich im Aufbau. Das geschehe in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR und dem European Asylum Support Office EASO. Die EU hatte sich im September auf Hotspots als Registrierungszentren  für Griechenland und Italien geeinigt.

Der erste griechische Hotspot wurde auf Lesbos eingerichtet. Nur 39 Frontex-Mitarbeiter sind für die Registrierung der 2000 Menschen verantwortlich, die jeden Tag Lesbos erreichen. Weitere griechische Standorte sind Chios, Samos, Leros und Kos. Sie arbeiten bislang nur eingeschränkt oder gar nicht.

Ähnlich schlecht fällt die Bilanz für Italien aus. Bis auf den Hotspot auf Lampedusa dürften die Zentren in Pozzallo, Porto Empedocle, Trapani, Augusta und Taranto erst am Jahresende voll einsatzfähig sein.

Funktioniert die geplante Verteilung der Flüchtlinge?

Nein. Auch die Bundesregierung räumt ein, dass die vereinbarte Verteilung von 160.000 Flüchtlingen nur schleppend begonnen habe. Korrespondenten, die aus Lesbos berichten, bestätigen diese Aussage. Keineswegs werde dort, wie ursprünglich vorgesehen, darüber entschieden, ob ein Flüchtling in der EU bleiben kann und dementsprechend verteilt wird oder ob er in sein Heimatland zurückkehren muss. Niemand werde an der Weiterreise gehindert.

Allein aus Griechenland sollten 66.400 Menschen umgesiedelt werden. Bislang geschah das nur bei 64 Flüchtligen, 30 davon wurden nach Luxemburg gebracht. Einer Sprecherin zufolge erwartet die Bundesregierung, "dass die europäischen Partner ihren Verpflichtungen nachkommen". Für Griechenland und Italien lagen Ende November jeweils 3216 Umsiedlungsanzeigen der Mitgliedsstaaten vor.

Was soll der EU-Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika leisten?

Die Europäische Kommission hat Mitte November einen "Nothilfe-Treuhandfonds der Europäischen Union zur Unterstützung der Stabilität und zur Bekämpfung der Ursachen von irregulärer Migration und Vertreibungen in Afrika" eingerichtet. Dafür stehen 1,8 Milliarden Euro bereit, die aus dem EU-Haushalt und dem Europäischen Entwicklungsfonds EEF kommen. Zusätzlich haben EU-Mitgliedstaten und andere Geber bislang etwas mehr als 81,3 Millionen Euro beigesteuert.

Der Treuhandfonds richtet sich an eine Vielzahl von Ländern in verschiedenen Teilen Afrikas, durch die die Hauptmigrationsrouten von Afrika nach Europa verlaufen. Dazu gehören unter anderem Kamerun, Eritrea und Marokko. Der Fonds will unterschiedliche Projekte fördern, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Dazu gehört, mehr Arbeitsplätze, mehr Bildungsmöglichkeiten und mehr Rechtsstaatlichkeit zu schaffen.

Welche Projekte werden zusätzlich unterstützt?

Im Rahmen eines Afrika-weiten Aktionsplans fördert die Europäische Kommission mit 150 Millionen Euro neun Projekte. Dadurch sollen Regierungsführung und Menschenrechte gestärkt und Innovation und Wissensvermittlung unterstützt werden.

So will man die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen verhindern, organisierte Kriminalität bekämpfen und die Flugsicherheit erhöhen. Fast ein Drittel der Summe, nämlich 45 Millionen Euro, geht an Einrichtungen der Afrikanischen Union. 

Wie sieht die Hilfe für Syrer aus?

Anfang Dezember beschloss die Kommission die bislang umfangreichste Einzelmaßnahme der EU für syrische Flüchtlinge, die deren Lebensbedingungen in den angrenzenden Staaten verbessern soll. 350 Millionen Euro sind dafür eingeplant. Das Geld fließt in vier Programme, die Bildung, Gesundheit, Arbeitsmöglichkeiten und Wasserversorgung verbessern sollen.

Bis November hatten EU-Kommission und EU-Mitgliedsstaaten bereits 4,4 Milliarden Euro aufgewendet, um Syrern zu helfen, sei es im Land selbst oder auf der Flucht. Schätzungen zufolge sind innerhalb Syriens 13,5 Millionen Menschen in einer Notlage. Fast 4,3 Millionen Syrer sind inzwischen in die Türkei, den Libanon oder nach Jordanien geflüchtet.

Die meisten syrischen Flüchtlinge, nämlich 2,2 Millionen, halten sich in der Türkei auf. Aufgrund ihrer Schlüsselstellung hat die EU mit der Türkei einen Aktionsplan vereinbart, der nun Schritt für Schritt umgesetzt werden soll. Er verlangt von Ankara eine bessere Grenzsicherung, um die ungesteuerte Einwanderung nach Europa zu beenden. Im Gegenzug bekommt die Türkei unter anderem drei Milliarden Euro, um die Flüchtlinge im eigenen Land besser zu versorgen. Die türkische Regierung hofft aber offenbar auch auf eine verbindliche Zusage der EU zur Aufnahme von Flüchtlingen.

Amnesty International wirft der Türkei vor, Flüchtlinge nach Syrien und in den Irak abzuschieben. Seit September hätten die Behörden Hunderte Flüchtlinge an der Westgrenze der Türkei festgenommen und sie vor die Wahl gestellt, entweder in ihre Heimatländer abgeschoben oder auf unbestimmte Zeit festgehalten zu werden. Die türkischen Behörden bestreiten das.

Wo fehlt noch Geld?

Die Gesamtrechnung, die die EU für den Zeitraum zwischen September und Dezember aufmachte, war unbefriedigend. In der Summe fehlte mehr als die Hälfte des benötigten Geldes. Veranschlagt waren insgesamt 5,6 Milliarden Euro. Davon zahlten die EU 2,8 Milliarden, die Mitgliedsstaaten aber nur 575 Millionen Euro. Folglich klaffte in den jeweiligen Treuhandfonds für Afrika und Syrien eine Finanzierungslücke von etwa 50 Prozent.

Besser lief es mit den Beiträgen von EU und Mitgliedsstaaten für Welternährungsprogramm, UNHCR und andere humanitärer Hilfe. 500 Millionen Euro kamen aus dem EU-Haushalt, knapp 442 Millionen Euro von den Mitgliedsstaaten. Der prognostizierte Bedarf wurde also um nur 58 Millionen Euro unterschritten. Deutschland zahlte insgesamt 108 Millionen Euro: 60 für das UNHCR, 40 für das Welternährungsprogramm, fünf für den Syrien- und drei Millionen für den Afrika-Fonds.

Zusammengestellt von Sandra Stalinski und Ute Welty, tagesschau.de