Wahl im Vereinigten Königreich Kommt der Erdrutschsieg von Labour?
Das Vereinigte Königreich wählt - und laut allen Umfragen wird die konservative Regierung abgestraft werden. Dass Labour gewinnt, scheint klar. Die Frage ist nur, wie hoch - und wie brutal der Verlust der Tories aussehen wird.
In den Umfragen liegt Labour weit vorne. Der Mittelwert der Umfragen, den der Sender BBC ermittelt, sagt den Sozialdemokraten der Labour-Partei 40 Prozent der Stimmen voraus. Die Konservativen liegen bei 20 Prozent, Reform UK, der Rechtsausleger der britischen Politik unter Nigel Farage, bei 16 Prozent.
Die Zahlen haben Labour-Chef Keir Starmer die Sicherheit gegeben, mit einem Lächeln die letzten Wahlkampftermine zu absolvieren: "Uns steht ein Sommer des Wandels bevor", sagte er.
Was nicht bei sonderlich vielen Wählern verfängt. Aufbruch, einen Neuanfang können sich nur wenige vorstellen, und das Misstrauen ist groß. Trotz alledem: Starmer sieht sich bereits in der Downing Street Number 10.
Verlustminimierung durch Angstmache
Die Konservativen blicken einer schweren Niederlage entgegen. Im Mittel der unterschiedlichen Vorhersagen kommen sie auf nur noch 117 Sitze, runter von 345, vielleicht werden es aber sogar weniger als 100, wie einige Meinungsforschungsinstitute errechnet haben.
Premierminister Rishi Sunak hat einen besonderen Akzent im Wahlkampf gesetzt, Stichwort Verlustminimierung. Er spricht davon, dass eine "super majority" von Labour verhindert werden müsse.
Der Begriff "Super-Mehrheit" soll hier suggerieren, dass das politische Gleichgewicht aus den Fugen geraten könne, wenn Labour zu stark wird. Was nicht zu befürchten ist, wie Politikwissenschaftler sagen - aber Sunak versucht Befürchtungen zu wecken, der Sozialismus könnte ausbrechen.
Steuern, Gesundheitssystem, Migration
Inhaltlich ging es im Wahlkampf viel um Steuern. Das Vereinigte Königreich braucht Investitionen in den heruntergewirtschafteten Gesundheitsdienst, in Schulgebäude, die maroden Straßen, das Bahnnetz, Wohnungsbau, und um die Wirtschaft anzuschieben.
Aber bezahlen ließe sich das nur bei kräftigem Wirtschaftswachstum - oder mit Steuererhöhungen. Doch die lehnen beide Parteien ab.
Ein weiteres Thema war der National Health Service. Studien belegen, dass der Gesundheitsdienst heute deutlich schlechter dasteht als vor dem Machtantritt der Tories vor 14 Jahren. 7,5 Millionen Menschen sind auf Wartelisten für Behandlungen.
Ein weiteres großes Thema: die Migration. Obwohl 2023 verhältnismäßig wenige Menschen über den Ärmelkanal nach England kamen - etwa 29.000 -, haben viele Wählerinnen und Wähler das Gefühl, es seien viel zu viele.
Für Politiker der extremen Rechten, wie Nigel Farage, war es das bestimmende Wahlkampfthema. Er ist Vorsitzender von Reform UK und verspricht, die sogenannte illegale Einwanderung zu stoppen, Zuwanderung deutlich zu reduzieren.
"Die Konservativen haben niemals an den Brexit geglaubt, die haben das Thema nur aufgegriffen und konnten nicht liefern: Weniger Migration und weniger Bürokratie - wir hätten es haben können, die haben versagt", meint Farage. So treibt er die Konservativen und Labour erneut vor sich her, mit der Sicherheit, nicht selbst regieren zu müssen.
Enttäuschung dominiert
Die politische Stimmung im Vereinigten Königreich ist geprägt von Enttäuschung und dem Gefühl, Politikern könne man überhaupt nicht mehr trauen. Das hat eine frische Studie des Politologen John Curtice vom National Centre for Social Research gerade erst wieder belegt.
Das hat mit den leeren Versprechungen rund um den Brexit zu tun, mit dem Partygate-Skandal während der Covid-Pandemie unter der Regierung von Ex-Premier Boris Johnson und mit der Bilanz nach 14 Jahren Tory-Regierung. 73 Prozent der Briten sagten in einer YouGov-Umfrage, das Vereinigte Königreich stünde schlechter da als vor 14 Jahren.
"Sind Sie beide die besten Kandidaten?"
Doch davon kann Labour nicht so recht profitieren. Viele misstrauen auch der Partei von Keir Starmer. In einer Wahlsendung hört sich das dann so an, wenn ein Zuschauer Starmer und Sunak anspricht: "Sind Sie beide wirklich die besten Kandidaten, um unser großartiges Land zu regieren?", sagte der ältere Herr. Viele Medien griffen dies als zentralen Satz auf, um die Stimmung im Land zu beschreiben.
Und gerade das macht den Ausgang der Wahlen auch unvorhersehbar: Viele dürften sich erst am Schluss entscheiden, ein großer Teil bleibt womöglich zu Hause und geht erst gar nicht zur Wahl - und viele machen ihr Kreuz vielleicht an einer Stelle, an der sie dies womöglich noch nie gesetzt haben.