Eine Frau steht im Wintermantel vor einem Zelt.
Reportage

Wärmeorte in der Ukraine "Die Seele bekommt einen Schub"

Stand: 01.12.2022 12:55 Uhr

Zum Schutz vor der winterlichen Kälte werden in der Ukraine derzeit Tausende Wärmeorte aufgebaut. Dort bekommen die Menschen nicht nur Energie für ihre Handys, sondern geben sich gegenseitig Unterstützung.

Von Andrea Beer, WDR, zzt. Kiew

Anton Kondur schiebt die Plane des grauen Zelts beiseite und betritt einen der Wärmepunkte, die landesweit aufgebaut werden. "Wir sind rund um die Uhr offen und alle sind willkommen", sagt Kondur, der für den ukrainischen Katastrophenschutz arbeitet. "Wir haben hier Starlink ohne Passwort und für alle kostenlos. Die Menschen können ihre Handys aufladen, Tee und Wasser trinken, sich aufwärmen. Die Polizei sorgt für die Sicherheit und die Heizkanone für die Wärme." Auch während der Sperrstunde sind die Zelte geöffnet, aber nach Beginn kommen weniger, berichtet Kondur. "Vorher kommen sie, um sich zu wärmen."

"Punkt der Unbeugsamkeit"

Kondur schaltet die graue Heizkanone ein. Es wird laut, aber in den Zeltinnenraum strömt warme Luft. "Punkt der Unbeugsamkeit" steht auf einem gelben Schild am Eingang, denn so hat die ukrainische Führung solche Wärmeorte genannt. Darin gibt es Trinkwasser, eine Kinderspielecke, Liegen, eine kleine Notapotheke. Für das Aufladen von Handys, Tabletts oder Powerbanks liegen lange Kabel mit Mehrfachsteckern auf dem Tisch bereit.

Daran sitzen ein paar ältere Damen in Mantel und Kopftuch. Sie haben ein wärmendes Glas Tee in der Hand. Die jüngere Alla isst dazu einen Keks. "Ich habe nur mit Unterbrechungen Strom und auch die Heizung fällt immer wieder aus. Hier habe ich außerdem Medizin bekommen und bevor ich kam, habe ich gefroren. Ich habe auch medizinische Probleme. Meine Hände sind taub und ich friere leicht, wenn ich nicht warm angezogen bin", erzählt eine der Frauen.

Tausende Wärmeorte werden aufgebaut

Laut Präsident Wolodymyr Selenskyj sollen landesweit 4000 solcher Wärmeorte aufgebaut werden, in Zelten, aber auch in Verwaltungsgebäuden oder Schulen. Knapp 1000 gibt es bereits, sagte der Sprecher des ukrainischen Katastrophendienstes Oleksandr Chorunschyj im ukrainischen Fernsehen. "Seit wir am 18. November damit begonnen haben, sind mehr als 34.000 Menschen in die festen Wärmepunkte gekommen und ungefähr 30.000 wurden an mobilen Punkten geholfen." 

Stromausfälle sind Alltag geworden

Insgesamt sind Millionen Menschen in der Ukraine betroffen. Denn aufgrund der systematischen russischen Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur gibt es noch immer rund 30 Prozent zu wenig Strom in den Energienetzen. Geplante Notabschaltungen sollen die Netze entlasten, aber auch unberechenbare Stromausfälle sind Alltag geworden. Viele Menschen haben Generatoren auf ihren Balkonen installiert und lagern Trinkwasser, Kerzen, Batterien und unverderbliche Lebensmittel zuhause.

"Gute Gespräche und Unterstützung füreinander"

Im Wärmezelt bekämen die Menschen nicht nur Energie für ihre Handys, sondern auch die Seele bekomme einen Schub, meinen Alla und eine dunkelhaarige Dame aus der Nachbarschaft, mit der sie sich gerade angefreundet hat.

"Es verbindet. Die Menschen sitzen zusammen, unterhalten sich und tauschen Informationen aus. Es gibt gute Gespräche und Unterstützung füreinander. Als die Kämpfe angefangen haben, war das genauso. Ich erinnere mich, wie wir Fremde umarmt haben - vor allem die, die lange in Kellern sitzen mussten. Man sieht, dass das alles auch psychologisch schlimme Folgen hatte."

Ein graues Zelt

Knapp 1000 Wärmeorte gibt es bereits in der Ukraine - oft in Zelten.

"Alles wird gut und bald enden"

Innerhalb von etwa zwei Monaten könnte das komplexe Energiesystem so repariert werden, dass es keine gravierenden Ausfälle mehr gibt, so die Einschätzung eines ukrainischen Energie-Think-Tanks - allerdings nur, wenn Russland es nicht weiter angreift. Doch damit rechnet niemand. Wasser-, Heiz- und Atomkraftwerke oder Transformatoren sowie wichtige Umspannwerke bleiben Moskaus Ziel. Das Reparieren verursacht hohe Kosten in der Ukraine und verhindert den Export von Strom.

Außerdem zermürbt es die Menschen. Denn sie müssen jederzeit mit neuen russischen Drohnen- und Raketenangriffen rechnen. Auch Alla stellt sich darauf ein: "Es ist unklar, was als nächstes passiert. Ich habe eigentlich schon Anfang März mit so etwas gerechnet. Wir dürfen nur an Gutes denken. Alles wird gut und bald enden." Und ihre neue Bekannte ergänzt: "Aber wenn man im Radio hört, was gesagt wird, will man gar nicht nach Hause gehen. Dort ist es kalt und jeder ist mit seinen Problemen alleine. Zusammen sind wir irgendwie alle auf dem gleichen Level. Es ist dann leichter - denn du siehst, dass du nicht alleine bist."

Andrea Beer, WDR, zzt. Kiew, 01.12.2022 10:18 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 01. Dezember 2022 um 05:25 Uhr.