Nach russischen Angriffen Zehntausende in Kiew weiter ohne Strom
Noch immer sind in der ukrainischen Hauptstadt 130.000 Menschen ohne Strom. Nach ungewöhnlich deutlicher Kritik von Präsident Selenskyj an den Zuständen in Kiew rief Bürgermeister Klitschko zum Zusammenhalt auf.
Nach den schweren russischen Angriffen sind in der ukrainischen Hauptstadt Kiew weiterhin Zehntausende Bewohner ohne Strom. 130.000 Menschen in der Drei-Millionen-Einwohner-Metropole seien noch immer von der Versorgung abgeschnitten, teilte die städtische Militärverwaltung mit. Auch in anderen Teilen des Landes leidet die Bevölkerung unter den Folgen der vermehrten russischen Angriffe auf die Infrastruktur.
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko warnte mit Blick auf die Stromausfälle vor politischem Streit und rief zu Zusammenhalt auf. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte den ehemaligen Box-Weltmeister zuvor wegen der Zustände in der Hauptstadt indirekt kritisiert. "Der Schlüssel des Erfolgs der Ukraine nach dem Angriff Russlands auf unser Land ist der Zusammenhalt, sowohl national als auch international", sagte Klitschko daraufhin der "Bild am Sonntag". "Wir müssen weiter gemeinsam dafür sorgen, das Land zu verteidigen und die Infrastruktur zu schützen."
Klitschko versicherte, dass in "Rekordtempo" an einer Lösung gearbeitet werde. "Die Stadt hat wieder Wasser und 95 Prozent Heizung. Jetzt arbeiten wir vor allem daran, dass der Strom überall zurückkommt." Die Behörden hoffen auf eine Normalisierung am Sonntag.
"Nicht in allen Städten gute Arbeit geleistet"
Selenskyj hatte in seiner abendlichen Ansprache bemängelt, dass gerade in der Hauptstadt die Wiederherstellung der Stromversorgung nur langsam vorangehe. "Leider haben die örtlichen Behörden nicht in allen Städten gute Arbeit geleistet", sagte er. "Insbesondere gibt es zahlreiche Beschwerden in Kiew." Viele Bürger der Hauptstadt seien inzwischen bis zu 30 Stunden ohne Strom. Am Abend seien noch bei 600.000 Abonnenten in der Stadt abgeschaltet gewesen, so der Präsident. "Wir erwarten vom Bürgermeisteramt Qualitätsarbeit."
Selenskyj hatte Klitschko nicht beim Namen genannt. Er ärgerte sich vor allem darüber, dass es in Kiew weniger Wärmestuben gebe als benötigt. Klitschko hatte berichtet, 400 dieser Anlaufstellen seien eingerichtet worden. Bei Stromausfällen von mehr als einem Tag sollen sich die Bürger dort aufwärmen können. Es soll Strom, Wasser, Erste Hilfe und Internet geben.
Tatsächlich gebe es funktionierende Wärmestuben nur in den Gebäuden des Zivilschutzes und am Bahnhof, sagte Selenskyj. "An anderen Stellen muss noch gearbeitet werden, um es vorsichtig auszudrücken." Die Einwohner von Kiew bräuchten mehr Schutz. Niemand verzeihe bloße Lippenbekenntnisse, gleiches gelte für "Lügen bei Berichten auf verschiedenen Arbeitsebenen".
Erneut gezielt Energie-Infrastruktur beschossen
Die russischen Streitkräfte hatten am Mittwoch mit Dutzenden Raketen und Marschflugkörpern erneut gezielt die Energie-Infrastruktur der Ukraine beschossen und schwere Schäden angerichtet. In vielen Landesteilen fielen Strom, Wasser und Wärmeversorgung aus. Er war die achte derartige Angriffswelle seit Mitte Oktober.
Angesichts des beginnenden Winters ist die Lage vielerorts dramatisch. Die Vereinten Nationen und das Rote Kreuz warnten am Freitag davor, dass durch die Angriffe viele Menschen in extreme Not und entsetzliche Lebensbedingungen geraten könnten. Die Stromausfälle haben zur Folge, dass es vielerorts auch kein Wasser und keine Heizung gibt. Zudem funktionieren Internet oder Telefon nur schlecht.