Ein türkischer Reisepass
Reportage

Türkische Erdbebenopfer Viel Frust bei vereinfachten Visa

Stand: 23.02.2023 14:21 Uhr

Die Bundesregierung will die Aufnahme von Verwandten aus dem Erdbebengebiet vereinfachen. Doch in der Praxis hakt es noch. Das zeigt ein Besuch des Visabüros im türkischen Gaziantep.

Ein völlig entnervter Mann rennt aus der Geschäftsstelle der Visa-Agentur in einen Kiosk nebenan. Er muss noch schnell Kopien machen. Dann geht es im Laufschritt zurück. Durch die Tür sind verschiedene Schalter zu sehen, Bänke mit Wartenden und ein Luftbild von Berlin. Zwischen Gaziantep, Berlin und anderen deutschen Städten liegt das sogenannte vereinfachte Visumsverfahren.

Mit der vereinfachten Visavergabe will die Bundesregierung Erdbebenopfern in der Türkei entgegenkommen. Das war auch Thema beim Besuch von Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Dienstag im Erdbebengebiet.

Wer dauerhaft in Deutschland lebt und Verwandte im türkischen Erdbebengebiet hat, soll enge Familienmitglieder für maximal drei Monate unbürokratischer nach Deutschland holen können. Bis zu Faesers Besuch im Erdbebengebiet waren allerdings weniger als 100 dieser Visa ausgestellt.

Alle Unterlagen vorlegen

Elif Mengene würde gerne mit ihrer Mutter zu Verwandten nach Mannheim. Sie findet es gar nicht so einfach, was sie alles vorlegen müssen. "Statt acht Wochen auf das Visum zu warten, dauert es jetzt etwa eine Woche. Ansonsten muss man eigentlich alle Unterlagen vorlegen, die sonst auch nötig sind." Das seien Antragsformular, gültiger Pass, Krankenversicherung, biometrisches Lichtbild, Verpflichtungserklärung der einladenden Person und Bescheinigung des Einwohnermeldeamts.

Zum Glück ist ihr Wohnhaus nur beschädigt und nicht eingestürzt, so konnten sie ihre Ausweisdokumente retten. Aber Mutter Fatma kann sich im Moment nicht vorstellen, wieder in dem Haus zu wohnen. "Wir leben hier in ständiger Angst. Deshalb schlafen wir im Auto. Wir möchten nach Deutschland, damit wir psychisch etwas zur Ruhe kommen."

Zu kurz und zu teuer

Das ist genau das, was Deutschland mit dem vereinfachten Visaverfahren ermöglichen will. Auch Mustafa Tohum bräuchte eigentlich dringend eine Auszeit von der Katastrophe. Er ist Wächter eines Parkplatzes ganz in der Nähe der Visastelle. Seit dem Erdbeben schläft er mit Frau und Kindern in einem Zelt im Stadtpark. Einer seiner Söhne lebt in Wiesbaden, theoretisch könnten er und seine Familie dorthin.

"Aber jetzt bietet man uns an, für 90 Tage nach Deutschland zu gehen", erzählt er. Aber für drei Monate lohne sich der ganze Aufwand nicht, allein schon finanziell nicht. "Wie sollte ich das bezahlen? Ich arbeite für den Mindestlohn. Allein schon die Flüge, ich habe fünf Kinder, wir sind zu siebt."

Visumsantrag "überhaupt nicht einfach"

Abidin Gemici sagt, er habe extra einen Kredit für die Flüge zu Verwandten nach Stuttgart aufgenommen. Jetzt wartet er mit seinen Kindern, drei und acht Jahre alt, im Auto während seine Frau den Visumsantrag abgibt. Er hofft, dass es dieses Mal klappt.

"Ständig sagt man uns, es würden noch irgendwelche Unterlagen fehlen. Von meiner Frau lebt die jüngere Schwester und die Tante dort. Doch weil es die Tante ist, die die Einladung geschickt hat, gibt es Probleme." Die Familie solle die Verwandtschaftsbeziehung nachweisen, so Gemici. "Doch das Einwohneramt hier sagt, so einen Nachweis dürfen sie nicht ausstellen. Seit zehn Tagen bemühen wir uns um ein Visum. Es ist überhaupt nicht einfach."

Christian Buttkereit, Christian Buttkereit, SWR, 23.02.2023 19:19 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 23. Februar 2023 um 13:17 Uhr.