Erdbeben in Türkei und Syrien Baerbock und Faeser sagen Millionenhilfe zu
Mehr als 48.000 Tote und Millionen Menschen ohne Unterkunft - Außenministerin Baerbock und Innenministerin Faeser haben sich in der Türkei über die Folgen des Erdbebens informiert und sagten Hilfen in Höhe von 108 Millionen Euro zu.
Deutschland steht an der Seite der Betroffenen des verheerenden Erdbebens in der türkisch-syrischen Grenzregion. Das haben Außenministerin Annalena Baerbock und Innenministerin Nancy Faeser bei ihrem Besuch im Südosten der Türkei deutlich gemacht. Die beiden Ministerinnen sagten bestmögliche akute Hilfe und anhaltende Unterstützung beim Wiederaufbau zu. "Unser Mitgefühl erschöpft sich nicht in Worten und es wird auch nicht nachlassen, wenn die Katastrophe und ihre Folgen in den Nachrichten von anderen Schlagzeilen verdrängt werden", versprach Baerbock.
Das Ausmaß der Katastrophe mit mehr als 48.000 Toten in der Türkei und Syrien nannte die Außenministerin "schier unfassbar und extrem bedrückend". Auswärtiges Amt und Bundesinnenministerium wollten in Erfahrung bringen, wie sie ihren "Teil dazu beitragen können, den Menschen wieder eine Perspektive zu geben. Faeser fügte hinzu: "Es zerreißt uns allen das Herz, zu sehen, welch unfassbare Verwüstung und welch unendliches Leid dieses Erdbeben in der Türkei und in Syrien verursacht hat."
Und während noch nicht alle Opfer der Katastrophe vom 6. Februar geborgen sind, erschütterten am Montagabend zwei weitere schwere Erdbeben die türkische Katastrophenregion Hatay und den Norden Syriens. Die Beben der Stärke 6,4 und 5,8 ereigneten sich rund 200 Kilometer südwestlich von Gaziantep.
Bundesregierung verdoppelt Hilfen auf 108 Millionen Euro
Bislang stellt Deutschland Hilfen in Höhe von 58 Millionen Euro für die Erdbebenopfer zur Verfügung. Jetzt sollen weitere 50 Millionen Euro folgen, wie Baerbock und Faeser bei ihrem Besuch bekannt gaben. 33 Millionen Euro davon sind für Hilfen in der Türkei reserviert, 17 Millionen Euro sollen über UN- und Nichtregierungsorganisationen den Menschen in Syrien zugutekommen. Die Hilfe für die Erdbebenregion wurde damit verdoppelt.
Am Flughafen in Gaziantep übergaben die beiden Ministerinnen weitere 13 Tonnen Hilfsgüter. Im Anschluss besuchten sie die Ortschaft Pazarcik, die etwa 20 Kilometer östlich der Stadt Kahramanmaras liegt. Dort informierten sie sich in einer von türkischen Behörden errichteten Zeltstadt, die laut Katastrophenschutz Afad derzeit rund 1700 Bewohner hat, über die Lage der Betroffenen.
Zum Abschluss des Besuchs ist am Abend in Gaziantep die Besichtigung einer durch einen externen Anbieter betriebenen Visastelle geplant, in der unter anderem vom Erdbeben betroffene Menschen Anträge auf Kurzzeitvisa für einen Aufenthalt in Deutschland stellen können sollen. Das Auswärtige Amt teilte mit, dass nach dem Beben bislang 96 Schengen-Visa in einem beschleunigten Verfahren erteilt und 15 Familienzusammenführungen für Erdbebenopfer mit Angehörigen in Deutschland beschlossen worden seien. Zuletzt war Kritik an den Anforderungen für Antragsteller laut geworden, die für viele Erdbebenopfer kaum erfüllbar seien.
1,5 Millionen Menschen in der Türkei obdachlos
Das Erdbeben in der Türkei und Syrien vom 6. Februar ist laut der Weltgesundheitsorganisation WHO die "schlimmste Naturkatastrophe" in Europa seit einem Jahrhundert. Und auch die Vereinten Nationen bezeichneten das Erdbeben nicht nur in Bezug auf die Zahl der Todesopfer als das schlimmste in der türkischen Geschichte. Auch die Berge an Schutt und Geröll seien beispiellos, sagte Louisa Vinton, die Vertreterin des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) in der Türkei, in einem UN-Briefing in Genf, in dem sie sich ausschließlich auf die Lage in der Türkei bezog. In Syrien gibt es Tausende weitere Opfer und Schäden.
Die türkischen Behörden hätten inzwischen 70 Prozent der 927.000 in Mitleidenschaft gezogenen Gebäude inspiziert, so Vinton. 118.000 davon seien eingestürzt oder so beschädigt, dass sie abgerissen werden müssten. Das UNDP schätzt den Umfang von Schutt und Asche auf zwischen 116 und 210 Millionen Tonnen. Um das zu lagern, seien sieben Millionen Quadratmeter Land nötig. Nach Angaben der UN-Vertreterin fielen bei dem letzten großen Erdbeben 1999 in der Türkei 13 Millionen Tonnen Schutt und Asche an.
Die Vereinten Nationen fürchten die Ausbreitung von Krankheiten. Sie hätten unter anderem Abfallcontainer und Desinfektionsmittel in die betroffene Region in der Türkei geschickt. Dringend benötigt würden tragbare Toiletten. 1,5 Millionen Menschen seien obdachlos geworden.
Immer wieder neue Erdstöße
Noch erschüttern neue Beben die Grenzregion - zuletzt kam es am Montagabend in der Region Hatay zu zwei Erdstößen im Abstand von drei Minuten mit Stärken von 6,4 und 5,8. Nach Einschätzung von Experten handelte es sich dabei um Folgen des Hauptbebens vom 6. Februar. "Das Beben ist insgesamt als Nachbeben einzustufen", sagte Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam. Nachbeben erreichten häufig eine Magnitude bis zu einer Größenordnung unter der des Hauptbebens. Wissenschaftlich sei das Beben nicht überraschend, aber "angesichts der neuen Todesfälle natürlich tragisch", so Bohnhoff.
Zum Hintergrund der neuerlichen starken Beben sagte der Erdbebenexperte, durch die Beben am 6. Februar mit einer Stärke von 7,7 sei es zu Spannungsumlagerungen gekommen. Dem habe das Gestein dann nicht mehr standhalten können. In der Region habe man es mit einem "Dreigestirn aus Plattengrenzen" zu tun. Durch die Stöße am Montag sei wohl auch die Zone unter Zypern beeinflusst worden. "Dort sind potenziell sehr große Beben vom Typ Japan 2011 möglich", sagte der Wissenschaftler.
Tote und Verletzte nach neuen Beben
Die neuen Beben vom Montag versetzten viele Menschen in der Türkei und Syrien in Panik. "Das Gebäude bewegte sich vor und zurück", beschrieb Mehmet Irmak aus Antakya die Erschütterungen. Die Region Hatay sei "kein sicherer Ort mehr". In der Türkei kamen durch die neuen Beben laut Katastrophenschutzbehörde mindestens sechs Menschen ums Leben, fast 300 weitere wurden verletzt. Drei der Todesopfer starben nach Afad-Angaben, als sie trotz Warnungen der Behörden in ihre Wohnungen zurückkehrten, um Habseligkeiten herauszuholen. Zwei Krankenhäuser in Antakya und Iskenderun mussten Medienberichten zufolge geräumt werden.
In Syrien starben nach Angaben von Aktivisten mindestens fünf Menschen. In den Orten Aleppo, Tartus und Hama seien Anwohner in Panik geraten und hätten etwa Herzstillstände erlitten, teilte die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Mindestens 150 Verletzte wurden aus der Region Aleppo gemeldet. Einige bereits beschädigte Gebäude in der Türkei und in Syrien stürzten ein.