Großbritannien und die EU Die Brexit-Debatte ist zurück
Die überzeugten Brexit-Anhänger werden unruhig: Will die neue Regierung Sunak näher an die EU rücken? Der Premier dementiert - aber neue Zahlen fachen die Debatte an.
Es ist ein Gefühl wie bei "Zurück in die Zukunft": Der Brexit ist wieder Thema auf den Titelseiten der britischen Zeitungen. Die "Daily Mail" schrieb am Montag "Betrügt uns nicht beim Brexit" und warnte die Regierung davor, engere Vereinbarungen für einen intensiveren Handel mit der Europäischen Union abzuschließen.
Die "Financial Times" berichtete gestern, dass viele Tories befürchteten, Finanzminister Jeremy Hunt könnte sich auf die EU zubewegen. Die Frage, wie die Beziehungen zwischen EU und dem Vereinigten Königreich gestaltet werden sollen, ist immer noch ideologisch aufgeladen.
Sunak dementiert
Am vergangenen Wochenende berichtet die "Sunday Times", dass Premierminister Rishi Sunak wegen der schweren Wirtschaftskrise eine Annäherung an die EU nach dem Vorbild der Schweiz erreichen wolle.
Sunak dementierte und sagte in einer Rede vor Vertretern des Britischen Industrieverbandes: "Unter meiner Führung wird das Vereinigte Königreich keine Beziehung zur Europäischen Union aufbauen, in der wir EU-Gesetze übernehmen müssen. Ich habe für den Brexit gestimmt, ich glaube an den Brexit."
Sie demonstrieren weiter: Gegner des Brexit gehen in London für einen Wiedereintritt in die EU auf die Straße.
Wirtschaftsmisere treibt zum Handeln
Die Debatte um die Beziehungen zur Europäischen Union ist durch eine Reihe von Zahlen angefacht worden. Die Inflation liegt derzeit bei 11,1 Prozent. 2023 wird die Wirtschaft im Vereinigten Königreich um 1,4 Prozent schrumpfen, wie die Behörde für unabhängige Wirtschaftsprognosen, OBR, prognostiziert.
Viele Regierungspolitiker, die für den Brexit sind, argumentieren, das habe vor allem mit dem Krieg in der Ukraine zu tun. Doch die Experten des OBR haben auch errechnet: Der Handel in den nächsten Jahren wird um 15 Prozent niedriger ausfallen, als wenn das Vereinigte Königreich in der EU geblieben wäre.
Ein Argument der Brexit-Befürworter war, den Handel mit einzelnen Abkommen stimulieren zu können. Doch das scheint nicht so richtig zu klappen. Bislang gibt es erst drei Abkommen mit der EU, Australien und Neuseeland.
Der ehemalige Handelsminister George Eustice stellte die Wirkung des Abkommens mit Australien in der vergangenen Woche im Unterhaus in Frage: "Zusammenfassend muss ich sagen, dass das Vereinigte Königreich zu viel hergegeben hat und dafür zu wenig bekommen hat."
Brexit wird als Fehler gesehen
Angesichts dieser Entwicklung fragen sich viele Britinnen und Briten mittlerweile, welchen Anteil der Brexit an der wirtschaftlich schwierigen Situation hat. Immerhin war in der Kampagne zum EU-Austritt versprochen worden, dass die Lebensmittelpreise sinken, mehr Geld für den Gesundheitsdienst NHS zur Verfügung steht, die Wirtschaft innovativer agieren könnte.
Doch offenbar nimmt die Skepsis zu. Eine aktuelle Umfrage von YouGov kommt zu dem Schluss, dass 56 Prozent der Briten den Brexit für einen Fehler halten. Ein Fünftel derer, die für den Austritt gestimmt haben, sagen, sie hätten sich getäuscht.
Wirtschaft will mehr Zuwanderer
Der britische Industrieverband sieht noch ein anderes Problem: den Fachkräftemangel. Die Wirtschaftsvertreter fordern Lockerungen bei der Zuwanderung. Premier Sunak kündigte ein Einwanderungsrecht an, das attraktiv ist für die besten Köpfe.
Die Zuwanderung von Flüchtlingen über den Ärmelkanal will Sunak reduzieren. Weniger Flüchtlinge - das war ein Kernversprechen der Brexit-Befürworter gewesen. Im europäischen Vergleich kommen nur wenige Flüchtlinge nach England.
Pragmatische Lösungen weiter schwierig
Gegen die Asylpolitik der Regierung argumentierte auch Labour-Chef Keir Starmer vor den Vertretern der britischen Industrie am Dienstag nicht. Er fordert mehr Investitionen in Aus- und Fortbildung: "Die Zeit, als billige Arbeitskräfte Teil unserer Wachstumsstrategie waren, müssen beendet werden." Wachstum sei nur mit Fachkräften zu erreichen, sagte er.
Das Wort Brexit hat der Oppositionspolitiker gemieden. Die Debatte um den Austritt und den pragmatischen Umgang mit den Folgen wird noch zurückhaltend geführt. Mit diesem Thema Wähler zu überzeugen, halten die Parteien für schwierig.