Angriff auf die Ukraine Neue Verhandlungen haben begonnen
Die zweite Runde der Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine über eine Waffenruhe hat begonnen. Die ukrainische Regierung rief die Bevölkerung derweil zum Guerillakrieg auf, während Russland weitere militärische Erfolge vermeldete.
Die zweite Runde der Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine über eine Waffenruhe hat begonnen. Das belarussische Staatsfernsehen zeigte am Nachmittag Aufnahmen, wie die beiden Delegationen an einem Tisch Platz nahmen. Die Vertreter der Ukraine und von Russland schüttelten sich die Hände. Das Treffen findet im Westen des Nachbarlandes Belarus statt.
Ursprünglich war mit der zweiten Runde der Gespräche bereits am Mittwochabend gerechnet worden. Zuvor hatten beide Seiten ihre Bereitschaft für ein neues Treffen bestätigt.
Der ukrainische Verhandlungsführer Mychailo Podoljak veröffentlichte auf Twitter ein Foto, das die Mitglieder beider Delegationen gemeinsam an einem Tisch am Verhandlungsort an der Grenze zwischen Belarus und Polen zeigte. Neben der Frage eines Waffenstillstands gehe es in dieser zweiten Gesprächsrunde vor allem um die Errichtung humanitärer Korridore, schrieb Podoljak.
Einen solchen Korridor forderte auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. "Humanitäre Konvois brauchen sicheres Geleit, Zivilisten muss es erlaubt werden, belagerte Städte sicher zu verlassen", schrieb von der Leyen während eines Besuchs in der Slowakei auf Twitter. "Russland muss es unseren humanitären Partnern erlauben, Hilfe in die Kriegszone zu bringen."
Russland fordert Demilitarisierung der Ukraine
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte erst am Nachmittag in einem Telefonat mit seinem französischen Kollegen Emmanuel Macron die Forderungen seines Landes bekräftigt. Zuvorderst gehe es um die Demilitarisierung der Ukraine und deren neutralen Status. Zugleich drohte der Kreml: "Versuche, Zeit zu gewinnen, indem die Verhandlungen in die Länge gezogen werden, führen nur zu zusätzlichen Forderungen an Kiew in unserer Verhandlungsposition." Russland hatte auf Befehl von Putin vor einer Woche den Angriff aufs Nachbarland Ukraine begonnen.
Vor Beginn der zweiten Verhandlungsrunde hatte die Regierung in Kiew betont, sie werde keine "Ultimaten" Moskaus akzeptieren.
Die russische Delegation wird von Präsidentenberater Wladimir Medinski geleitet, die ukrainische von David Arachamija, dem Chef der Regierungspartei von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Während die russischen Vertreter Anzüge trugen, erschienen die Ukrainer in olivgrünen Militärpullovern. Arachamija trug eine Kappe.
Russland meldet weitere militärische Erfolge
Während beide Parteien in Belarus die Verhandlungen wieder aufnahmen, ging die russische Offensive in der Ukraine weiter. So stießen etwa prorussische Separatisten nach russischen Angaben weiter vor. Die strategisch wichtige südukrainische Hafenstadt Mariupol sei nun eingeschlossen, sagte der Sprecher des Moskauer Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, russischen Agenturen zufolge.
Der Bevölkerung war am Vortag ein Abzug nach Osten, also in Richtung der Separatistengebiete angeboten worden. Mariupol am Asowschen Meer hat fast 450.000 Einwohner. Die Einnahme der Stadt würde einen Zusammenschluss der russischen Truppen erleichtern.
Prorussische Separatisten unterstützen Armee
Auch andernorts meldet Moskau Eroberungen: Im Osten hätten Separatisten mit Unterstützung der russischen Armee die Stadt Balaklija südostlich der Millionenstadt Charkiw sowie mehrere Siedlungen erobert, sagte Konaschenkow.
In der umkämpften Siedlung Borodjanka gut 50 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Kiew sei der "friedlichen Bevölkerung" ein "humanitärer Korridor" angeboten worden, sagte Konaschenkow. Das russische Militär werde einen Abzug nicht behindern. Das Angebot gilt oft als Vorbote eines russischen Großangriffs.
Offenbar Großstadt Cherson eingenommen
Mittlerweile ist offenbar auch die erste Großstadt in der Hand Russlands. Russische Besatzer seien in allen Stadtteilen der südlichen Hafenstadt Cherson, erklärten die dortigen Behörden. Bürgermeister Igor Kolychajew schrieb auf Facebook, russische Soldaten seien in der Stadtverwaltung im Zentrum Chersons gewesen, es wehe aber weiter die ukrainische Flagge über dem Gebäude. Er habe sie "aufgefordert, nicht auf Menschen zu schießen".
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Beim russischen Vormarsch auf andere Metropolen gibt es indes offenbar Schwierigkeiten. Ein großer russischer Militärkonvoi kommt nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums auf dem Weg nach Kiew kaum voran. Die Militärkolonne habe in den vergangenen drei Tagen "wenig erkennbare Fortschritte" gemacht und stehe nach wie vor etwa 30 Kilometer vom Zentrum der Hauptstadt entfernt, hieß es. Das Fortkommen des Konvois wurde durch ukrainischen Widerstand, Pannen und blockierte Straßen verzögert, erklärte das Ministerium.
In Kiew kam es in der Nacht zu mehreren schweren Explosionen. Der Agentur Unian zufolge wurde Luftalarm ausgelöst. Die Bewohner seien aufgerufen worden, sofort Schutz zu suchen, hieß es. Bis zu 15.000 Menschen würden sich zurzeit vor Angriffen in der U-Bahn verstecken, schrieb der Leiter der Kiewer Metro.
Ukrainischer Präsidentenberater ruft Zivilisten zu Guerilla-Krieg auf
Die ukrainische Regierung rief die Bevölkerung zu einem Partisanenkrieg gegen die russischen "Invasoren" auf. Zivilisten sollten Barrikaden errichten, Männer russische Truppen abseits der Front angreifen, sagte Präsidentenberater Oleksij Arestowitsch in einer Videobotschaft. "Die schwache Seite der russischen Armee ist die Nachhut", sagte Arestowitsch.
Arestowitsch rief zum totalen Volkswiderstand in den besetzten Gebieten auf. In den von russischen Truppen eroberten Städten Konotop im Nordosten und in Melitopol am Asowschen Meer gebe es diesen bereits. "Totaler Widerstand (...) ist unsere ukrainische Trumpfkarte und er ist das, was wir weltweit am besten können", sagte Arestowitsch. Er erinnerte an die Partisanenaktionen in der von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg besetzten Ukraine.
UN: Bislang 249 Zivilisten bei Kämpfen getötet
Nach Angaben der Vereinten Nationen sind in der ersten Woche des Konflikts 249 Zivilisten getötet und 553 verletzt worden. Es handle sich um bestätigte Fälle, die vom 24. Februar um 04.00 Uhr bis Mitternacht am Mittwoch erhoben worden seien, teilt das Hochkommissariat für Menschenrechte mit. Die Ukraine hatte am Mittwoch von mehr als 2000 getöteten Zivilisten gesprochen.
OSZE will mögliche Kriegsverbrechen untersuchen
Eine Gruppe von unabhängigen Experten soll mögliche Menschenrechtsverletzungen im Zuge der russischen Invasion untersuchen. Dies wurde in Wien durch mehr als 40 Staaten im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in die Wege geleitet.
Die Experten sollen im Auftrag der OSZE "Fakten und Umstände zu möglichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermitteln", hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme der Staaten, mit der der sogenannte "Moskau-Mechanismus" der OSZE zur Klärung von Menschenrechtsfragen ausgelöst wurde. Die Staaten verwiesen besonders auf Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur. Die gesammelten Informationen könnten dann staatlichen oder internationalen Gerichten zur Verfügung gestellt werden, hieß es.