Nach Angaben der Ukraine Russische Truppen stoßen Richtung Charkiw vor
Über eine russische Offensive bei Charkiw wird seit Wochen spekuliert. Nun hat das ukrainische Verteidigungsministerium einen Vorstoß der russischen Truppen gemeldet. Präsident Selenskyj sprach von einem "heftigen Kampf".
Die russische Armee hat nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums eine Bodenoffensive in der ostukrainischen Region Charkiw gestartet. Demnach begannen russische Truppen einen Angriff auf die Stadt Wowtschansk. Sie liegt etwa 40 Kilometer nordöstlich von Charkiw an der Grenze zu Russland. Am Morgen ab 5 Uhr Ortszeit (4 Uhr MESZ) seien feindliche Bodentruppen im Schutz von Panzerfahrzeugen vorgerückt, um die Verteidigungslinien zu durchbrechen, so das Ministerium.
Bislang seien die Angriffe abgewehrt worden, die Kämpfe dauerten jedoch in unterschiedlicher Intensität an. Mehrere Einheiten der Reserve seien in die betroffene Gegend verlegt worden, um die Verteidigung zu stärken, hieß es aus Kiew. Eine offizielle Stellungnahme aus Russland gibt es noch nicht.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Einem hochrangigen ukrainischen Militärvertreter zufolge stießen die russischen Truppen um rund einen Kilometer in ukrainisches Gebiet vor. Der Gouverneur des Gebiets Charkiw, Ihor Synjehubow, schrieb hingegen auf Telegram: "Die Streitkräfte der Ukraine halten ihre Stellungen: Es ist kein Meter Boden verloren gegangen." Eine Gefahr für die Millionenstadt Charkiw sehe er nicht.
Nicht genannte Quellen im ukrainischen Militär sagten dem Portal Ukraijinska Prawda später, die vier Grenzdörfer Striletsche, Krasne, Pylne und Boryssiwka seien von russischen Truppen erobert worden. Sie liegen noch dichter an Charkiw, das seit Monaten heftigen russischen Luftangriffen ausgesetzt ist.
Karte der Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Selenskyj: "Heftiger Kampf"
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach nach Beginn des Angriffs von einem "heftigen Kampf" in der Region. "Russland hat eine neue Welle von Gegenoffensivaktionen gestartet", sagte er bei einer Pressekonferenz. "Die Ukraine begegnete ihnen dort mit unseren Truppen, Brigaden und Artillerie (...) Jetzt ist in dieser Richtung ein heftiger Kampf im Gange."
Die Streitkräfte seien darauf vorbereitet, den russischen Angriff abzuwehren, so Selenskyj. Allerdings könnte Russland seine Truppen in dem Gebiet verstärken. Dem Rundfunksender Suspilne hatte der Präsident zuvor gesagt, das ukrainische Militär habe den Angriff erwartet und seine Reaktion darauf abgestimmt.
Analysten zufolge könnte der Angriff den Beginn eines russischen Versuchs markieren, die von Kremlchef Wladimir Putin versprochene Pufferzone einzurichten, mit deren Hilfe die Ukraine von Angriffen auf die russische Region Belgorod und andere Grenzregionen abgehalten werden soll. Unklar ist, ob die russischen Truppen eine Offensive auf die Stadt Charkiw selbst planen.
Charkiw seit Wochen unter verstärktem Beschuss
Die Grenzregion um die zweitgrößte Stadt der Ukraine ist schon seit einigen Wochen erneut unter verstärktem russischem Beschuss, die Regierung in Kiew befürchtete daher schon länger eine neue Offensive. Es gibt Berichte, dass die russischen Truppen dort mehrere Zehntausend Mann zusammengezogen haben. Für den Ernst der Lage spricht, dass das Verteidigungsministerium in Kiew sich dazu äußerte - nicht wie sonst der Generalstab.
Russland versuchte seit Beginn seiner Invasion im Februar 2022, die Grenzregion Charkiw zu erobern. Im Herbst 2022 musste sich seine Armee von dort zurückziehen. Doch wie überall an der Front sind es auch in dieser Region seit dem Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive im Sommer 2023 die russischen Streitkräfte, die derzeit die Initiative haben.