25 Jahre Grundsatzakte NATO-Russland Hoffnung aus anderen Zeiten
Die NATO-Russland-Grundakte von 1997 war ein historischer Versuch, den Kalten Krieg endlich hinter sich zu lassen und gemeinsam ein neues Kapitel der Zusammenarbeit aufzuschlagen. 25 Jahre später mutet die Verständigung fast an, als wäre sie aus der Zeit gefallen.
Paris, 27. Mai 1997: Feierliche Unterzeichnung der Nato-Russland-Grundakte. Für den Gastgeber, den französischen Präsidenten Jacques Chirac, ist dies der Höhepunkt der diplomatischen Annäherung von West und Ost seit 1990: "Unser Abkommen ist ein Erfolg für Russland, für die NATO, für Europa. Vor allem aber ist es ein Erfolg für den Frieden - und eine große Hoffnung für unsere Völker."
"Die NATO und Russland betrachten einander nicht als Gegner": Das ist der Kernsatz der Grundakte. Beide Seiten verpflichten sich, die Souveränität und die territoriale Integrität aller Staaten zu achten - und auf Gewalt gegeneinander oder andere Staaten zu verzichten. Der NATO-Russland-Rat wird ins Leben gerufen, um Vertrauen aufzubauen, man will bei Rüstungsfragen und im Kampf gegen den Terrorismus an einem Strang ziehen. Für Bundeskanzler Helmut Kohl besiegelt dieser Moment sogar das Ende der Teilung Europas.
Heute einigen sich die Staaten des Atlantischen Bündnisses und Russland auf eine Zusammenarbeit, die - und es ist so wahr, wenn ich das ausspreche - in der Geschichte ohne Beispiel ist.
Entgegenkommen auf beiden Seiten
Die Annäherung ist auch deshalb bedeutsam, weil mit der Grundakte der Weg frei wird für die Osterweiterung der NATO. Polen, Tschechien und Ungarn werden als erste ehemalige Staaten des Warschauer Paktes bald Teil des westlichen Verteidigungsbündnisses sein - viele anderen sollen folgen.
Um dem Kreml entgegenzukommen, sagen die USA und die europäischen Staaten Russland Wirtschaftshilfen zu und nehmen Moskau auf in die prestigeträchtige Gruppe der führenden Industrieländer. Vor allem aber erklärt die NATO, sie habe nicht die Absicht, in den neuen Bündnisstaaten Nuklearwaffen oder Kampftruppen zu stationieren. Russlands Präsident Boris Jelzin ist dieser Punkt besonders wichtig.
Es wird keine Atomwaffen in den neuen NATO-Mitgliedsländern geben. Die konventionellen Streitkräfte in Europa werden reduziert. Es wird keine militärische Infrastruktur in der Nähe Russlands geben. Es handelt sich um eine feste und verbindliche Zusage der Unterzeichnerstaaten.
... und dann kam Putin
Doch die Grundakte ist kein völkerrechtlich bindender Vertrag, sondern ein politisches Dokument, eine Absichtserklärung. Ausdrücklich macht die NATO in der Grundakte weitere Stationierungen von der Sicherheitslage abhängig. Jelzins Nachfolger Wladimir Putin sorgt jahrelang militärisch in Tschetschenien, Georgien, auf der Krim und in der Ostukraine dafür, dass genau diese Sicherheitslage sich dramatisch verschlechtert.
Putin erklärt die NATO zu einer vermeintlich heranrückenden Bedrohung, die seine Pläne durchkreuzt, angrenzende Staaten unter russischen Einfluss zu bringen. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos vor wenigen Tagen stellt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg fest: Mit dem Überfall auf die Ukraine und den Drohungen gegenüber dem Westen hat sich Russland weit vom Geist der Grundakte entfernt.
Putin wollte weniger NATO an seinen Grenzen und hat einen Krieg angezettelt. Jetzt bekommt er mehr NATO an seinen Grenzen. Die Entscheidung Finnlands und Schwedens, die NATO-Mitgliedschaft zu beantragen, ist historisch. Sie zeigt, dass die europäische Sicherheit nicht durch Gewalt und Einschüchterung diktiert werden wird.
Mit der Grundakte sei der Schleier der Feindseligkeit zwischen Ost und West überwunden, erklärt US-Präsident Bill Clinton 1997. 25 Jahre später ist dieser Schleier wieder erheblich dichter geworden.