Landwirt Dmytro Kutsenko steht vor seiner zerschossenen Getreidelagerhalle in der Nähe von Odessa, Ukraine
Reportage

Ukrainische Landwirte Kampf an vielen Fronten

Stand: 05.11.2022 22:31 Uhr

Die Getreidepreise sind wegen der Lieferengpässe weltweit besonders hoch. Doch ausgerechnet die Bauern in der Ukraine profitieren davon nicht - und leiden besonders unter der Situation.

Der Boden der Getreidelagerhalle ist übersät mit einer dünnen Schicht aus Weizenkörnern. Mehr ist nicht geblieben - auch die Halle selbst nicht. Der größte Teil der Weizenernte dieses Jahres, etwa 2000 Tonnen, ist nach einem russischen Raketenangriff Ende August vernichtet worden.

Dmytro Kutsenko steht vor den Resten seiner Existenz: "Insgesamt beläuft sich der Schaden auf fast 700.000 Euro. Unsere Lebensgrundlage ist praktisch zerstört. Wie sollen wir überleben?" Wie kann es weitergehen für ihn und seine 40 Mitgesellschafter, alles Bauern der Landwirtschaftskooperative Maiory nahe Odessa?

Russische Armee zerstört Ernteerträge ukrainischer Getreidebauern

Norbert Hahn, WDR, tagesschau, tagesschau, 05.11.2022 20:00 Uhr

Das fragen sich selbst Landwirte, die ihre Ernte in diesem Jahr verkaufen konnten. Zum Beispiel Valerii Kotenko, der ein paar Dörfer weiter wohnt und aus Angst vor den russischen Raketen erst gar nicht sein Lager zeigen will. Ihn treibt die Furcht, auch seinen Hof könnten Geschosse treffen, wenn der Gegner im Fernsehen sieht, wo er das Getreide lagert.

Doch das ist nicht seine einzige Sorge: "Wir bekommen für unser Getreide weniger als im Vorjahr," klagt er. Dabei sei alles teurer geworden - vor allem auch Dünger. Und zu wenig geregnet habe es auch.

Hohe Preise nutzen ukrainischen Bauern nichts

Es ist kaum verständlich: Weltweit sind die Getreidepreise wegen der Lieferengpässe durch den Krieg in der Ukraine hoch. Ausgerechnet die Bauern in der Ukraine aber, die teilweise unter Lebensgefahr anbauen, profitieren nicht davon.

Alla Stoyanova, Leiterin der Landwirtschaftsabteilung bei der Militärverwaltung Odessa, weiß warum. Unter anderem seien die Transporte aufwendiger und damit teurer geworden und es gäbe keine Versicherungen gegen Risiken in Kriegszeiten. Die Getreideexporte würden so zum persönlichen Risiko der Händler. "Alle Faktoren kommen zusammen - und für alles müssen leider die Landwirte zahlen", sagt Stoyanova.

Ohne die großen Häfen wäre Lage noch schlimmer

Dass das Getreideexportabkommen mit Russland weiterläuft, könnte etwas Sicherheit bringen und damit auch den Bauern helfen. Russland hatte es kurzfristig ausgesetzt, ist seit Mitte vergangener Woche aber wieder dabei. In zwei Woche müsste der Deal verlängert werden. Stoyanova ist optimistisch: "Ich glaube wirklich, dass es mit dem Getreideexportabkommen weitergeht. Die Welt ist in der jetzigen Lage darauf angewiesen."

Da schwingt etwas Zweckoptimismus mit, denn auf die großen Häfen der Ukraine zu verzichten, ist nicht leicht: Die kleinen Häfen haben nur eine Kapazität von drei Millionen Tonnen Getreide im Monat - nicht, wie jetzt, insgesamt sieben Millionen Tonnen mit allen Häfen. Auch der verstärkte Transport auf Schiene und Straße hat das Problem bislang nicht grundlegend lösen können.

Ungewisse Zukunft

Dmytro Kutsenko muss erstmal sehen, dass der Körnerberg, den die Kooperative noch retten konnte, trocken bleibt. Die Lagerhallen gibt es ja nicht mehr. Nun liegt die Ernte unter offenem Himmel, abends wird der Haufen mit Folie abgedeckt. Für die dringend nötigen Investitionen fehlt das Geld, wo sollte es auch herkommen. Kooperative-Chef Kutsenko weiß nur zu gut, wie das Unternehmen durch den Krieg enden könnte: "Bankrott."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 05. November 2022 um 20:00 Uhr.