Getreideraub in der Ukraine Geplünderte Kornkammer
Tonnenweise schmuggelt Russland offenbar Getreide mit Lkw und Schiffen aus der Ukraine. Dafür werden Papiere gefälscht, Fahrer auf Telegram geworben und Weizen auf offener See weitergegeben.
Der Hafen von Sewastopol auf der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim: Schon Ende Mai zeigen Satellitenbilder dutzende Lkw in der Nähe eines Schiffes. Sie laden gestohlenes ukrainisches Getreide, wie Recherchen des "Wall Street Journal" damals zeigen. Ein russischer Soldat, der einen der Trucks gefahren hat, berichtet den Journalisten: "Der Lkw bleibt außerhalb des Hafens. Ein anderer Fahrer bringt ihn rein, lädt den Weizen auf ein Schiff. Das war's. Zwei große Schiffe."
Das amerikanische Außenministerium gibt im Mai an, drei russische Schiffe stünden im Verdacht, gestohlenen ukrainischen Weizen zu transportieren. Russland weist die Vorwürfe zurück. Doch nach Recherchen von Journalisten verschiedener Medien sollen diese drei russischen Schiffe und weitere Frachter unter syrischer Flagge Teil einer Schmuggelroute sein. Sie führt aus den von Russland besetzten Gebieten im Süden der Ukraine über die von Russland annektierte Halbinsel Krim bis nach Syrien.
Und sie scheint staatlich organisiert zu sein, erklärt Polina Ivanova, Journalistin bei der "Financial Times": "Saporischschja und die Südukraine sind die Kornkammer des Landes. Nachdem russische Truppen das Gebiet im März besetzt und unter ihre Kontrolle gebracht haben, haben sie sehr schnell so etwas wie Quasi-Regierungsbehörden unter den Besatzungsorganen eingerichtet, die sich um den Getreidehandel kümmern."
Millionenschaden für die angeschlagene Ukraine
Kamjanka-Dniprowska - ein Ort unweit des von Russland besetzten Atomkraftwerks Saporischschja - im Süden der Ukraine. Hier soll der Schmuggel beginnen - an einem der größten Getreidespeicher der Region, zeigt die Recherche des "Wall Street Journal". Etliche Lkw sollen hier Getreide laden. Sie haben keine Nummernschilder - dafür ein Z aufgesprüht - das Zeichen für den russischen Angriffskrieg. Ein russischer Soldat berichtet den Journalisten: "Etwa 15 Lkw. Ich fuhr einen weißen Kamaz. Ich kam am Morgen des 21. oder 22. Mai. Wir haben das Getreide geladen und sind gefahren."
Und auch an anderen Orten im besetzen Süden der Ukraine finden die Journalisten Hinweise auf Getreideschmuggel. In Telegramgruppen werden Fahrer geworben - für fast 20 Routen. Die meisten führen aus den in diesem Jahr besetzten ukrainischen Regionen auf die Krim. Und Dokumente zeigen, dass die Besatzungsbehörden Weizen beschlagnahmen. Ein Millionenschaden für die wirtschaftlich angeschlagene Ukraine, erklärt Nikolai Gorbatschow, Präsident des ukrainischen Getreideverbandes:
Nach unseren Schätzungen hat Russland bis heute etwa eine halbe Million Tonnen Getreide exportiert. Etwa zwei Millionen Tonnen befinden sich noch auf Russisch kontrolliertem Gebiet und sollen exportiert werden. Sie versuchen, das zu verbergen. Versuchen, es über die russischen Grenzen zu bringen, nicht nur über die Krim, sondern auch Richtung Donezk.
Russland verschleiert offenbar Getreidediebstahl
Dass Russland versucht, den Getreidediebstahl zu verschleiern - zu diesem Ergebnis sind vor kurzem auch Polina Ivanova und ihrer Kollegen bei der "Financial Times" gekommen. Sie finden heraus, dass Schiffe ihre Tracker teilweise abschalten, dass offenbar Weizen auf offener See von Schiff zu Schiff weitergegeben wird. Und, dass Dokumente gefälscht werden, erklärt Ivanova:
Wir sind auf zwei fast identische Dokumentensätze zu einer Getreidelieferung gestoßen. Auf den einen Dokumenten steht, dass das Getreide aus den besetzten Gebieten der Ukraine stammt. Die Region Saporischschja ist dort aufgeführt. Die anderen Dokumente erwähnen die Ukraine überhaupt nicht und zeigen, dass das Getreide aus der Region Samara in Russland kommt.
So wird es für Zollbeamte sehr schwer, den Schmuggel zu entdecken. Doch Nikolai Gorbatschow vom ukrainischen Getreideverband ist überzeugt, dass Russland für den Diebstahl früher oder später Reparationen zahlen muss. Sogar die Seeleute auf den Schiffen seien den ukrainischen Behörden bekannt. Doch zuerst muss die Ukraine den Krieg gewinnen.