Fehlende Soldaten in der Ukraine "Keine Diskussion über neuen Einberufungs-Mechanismus"
Das ukrainische Verteidigungsministerium hat laut eigener Aussage derzeit keine Pläne, im Ausland lebende Ukrainer in die Armee einzuziehen. Entsprechende Medienberichte bezeichnete das Ministerium als Interpretationsfehler.
Das ukrainische Verteidigungsministerium hat Berichte über angebliche Pläne von Minister Rustam Umjerow dementiert, im Ausland lebende ukrainische Staatsbürger für den Wehrdienst zu rekrutieren.
Angesichts der personellen Schwierigkeiten der ukrainischen Streitkräfte, der hohen Verluste im Abwehrkrieg gegen Russland und der Erschöpfung der Kämpfer, hatte Umjerow der "Bild", Welt TV und "Politico" ein Interview gegeben. Nun stellte das Verteidigungsministerium klar, dass die Aussagen Umjerows in dem Interview falsch interpretiert worden seien. So erklärte der Leiter der Presse- und Informationsabteilung des Verteidigungsministeriums, Illarion Pawljuk, der Schwerpunkt der Aussage sei verschoben worden.
Pawljuk betonte, der Minister habe gesagt, dass es wichtig sei, den Ukrainern im Ausland die Bedeutung des Eintritts in die Armee zu verdeutlichen, und dass es derzeit keine Diskussionen über die Mechanismen der Einberufung in die Armee gebe.
Militär: Brauchen bis zu 500.000 weitere Soldaten
Die "Bild" hatte berichtet, Umjerow habe angekündigt, Ukrainer im wehrfähigen Alter von 25 bis 60 Jahren, die in Deutschland und anderen Ländern lebten, dazu aufzufordern, sich in den Rekrutierungszentren der Streitkräfte zu melden. Umjerow sprach demnach zwar von einer Einladung, drohte aber auch mit Sanktionen, sollte jemand der Aufforderung nicht nachkommen.
Das ukrainische Militär möchte 450.000 bis 500.000 weitere Soldaten mobilisieren, um die russische Invasion abzuwehren. Die finanziellen und politischen Rahmenbedingungen sind jedoch noch nicht geklärt. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte die Mobilisierung eine "sehr heikle Frage" genannt.
"Ein moralischer Appell"
Eine Klarstellung der Aussage Umjerows sei der ukrainischen Seite heute sehr wichtig gewesen, sagt ARD-Korrespondentin Judith Schacht. "Und zwar hat er appelliert an alle Ukrainer im Ausland, dass es wichtig ist, dass sie zurückkommen. Es war also ein moralischer Apell, der die Wichtigkeit betont hat, hier zu helfen."
Zudem bestätigte die Korrespondentin, dass es derzeit keine Diskussion über konkrete Mechanismen zur Einberufung der im Ausland lebenden Ukrainer gebe. Dies habe die ukrainische Regierung deutlich gemacht. Wie genau man jetzt weitere Soldaten mobilisieren wolle - und ob es am Ende tatsächlich 500.000 sein sollen - daran werde noch gearbeitet.
Wehrfähige Ukrainer im Ausland wirtschaftlich interessant
Im Gespräch mit tagesschau24 erklärte Andreas Umland, Politikwissenschaftler am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien, dass die Ukraine als eines der größeren Länder Europas tatsächlich das Potenzial habe, eine so hohe Zahl an weiteren Soldaten zu mobilisieren. "Die Frage stellt sich jetzt eben, welche Männer das sind", so Umland. Darunter fielen auch die wehrfähigen Männer, die sich derzeit außerhalb der Ukraine befinden.
Diese Männer seien insbesondere interessant, weil sie durch einen Kriegseinsatz nicht aus der gegenwärtigen ukrainischen Wirtschaft herausgenommen würden. Bei einer Rekrutierung im Inland würden hingegen wichtige Arbeitskräfte verloren gehen. Es werde seitens der ukrainischen Regierung auch deshalb versucht, die im Ausland lebenden Männer für einen möglichen Einsatz zu gewinnen. Umland sprach in der Hinsicht ebenfalls von einer "Einladung" des ukrainischen Verteidigungsministers.
Flucht und Schmiergelder
Zu Tausenden versuchen ukrainische Männer, sich dem Kriegsdienst durch Flucht ins Ausland zu entziehen. Die Kontrollen an den Grenzen sind streng, Beamte durchsuchen Autos und reißen Verkleidungen in Zügen auf. Immer wieder werden auch an der grünen Grenze Männer aufgegriffen. Bekannt sind zudem viele Fälle, in denen sich Wehrpflichtige in Musterungsstellen mit Schmiergeldern vom Dienst freikaufen.