Kinderkrankenhaus in Kiew UN sprechen von direktem Angriff aus Russland
Nach dem Beschuss einer Kinderklinik bezeichnen die UN es als "sehr wahrscheinlich", dass der Marschflugkörper in Russland abgefeuert wurde. Der Kreml dementiert. Innenministerin Faeser kündigte weitere humanitäre Hilfen an.
Die Bilder der Trümmer am Gelände des größten ukrainischen Kinderkrankenhauses Ochmatdyt, der Helfer und der verängstigten Kinder haben Entsetzen ausgelöst. Die Vereinten Nationen gehen nach vorläufigen Untersuchungen davon aus, dass die Klinik in der ukrainischen Hauptstadt Kiew "sehr wahrscheinlich" von einem russischen Marschflugkörper getroffen worden ist.
Wie die Leiterin der UN-Mission zur Beobachtung der Menschenrechte in der Ukraine, Danielle Bell, sagte, zeigten Videoaufnahmen, dass das Krankenhaus "direkt" von einem in Russland gestarteten Marschflugkörper vom Typ CH-101 getroffen worden sei. Sie nennt dies "einen der ungeheuerlichsten Angriffe, die wir seit Beginn der Invasion erlebt haben".
Ukrainischer Geheimdienst: Haben Beweise
Das Personal habe die kleinen Patientinnen und Patienten kurz vor dem Angriff am Montag im Bunker in Sicherheit gebracht, sagte sie. Ansonsten wäre die Opferzahl deutlich höher gewesen. Nach ihren Angaben kamen bei dem Angriff zwei Menschen ums Leben, darunter eine Ärztin. Alle 600 dort stationär behandelten Kinder seien in andere Gesundheitseinrichtungen gebracht worden.
Das Krankenhaus, in dem viele Kinder mit Krebs und anderen schweren Krankheiten behandelt wurden, sei schwer beschädigt worden und könne ohne erhebliche Reparaturen nicht mehr genutzt werden.
Auch der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU spricht von neuen Beweisen für einen Treffer durch einen russische CH-101-Marschflugkörper. "Die Schlussfolgerungen der Experten sind eindeutig - es war ein direkter Angriff", erklärt der SBU auf dem Kurzmitteilungsdienst Telegram. Er zeigt Bilder von einem Fragment eines Triebwerks, das an der Stelle des Einschlages gefunden worden sein soll. Die Analyse der Flugbahn und der Art des verursachten Schadens beweise, dass es sich um einen direkten Treffer gehandelt habe.
Russland weist Vorwürfe zurück
Die russische Seite weist die Verantwortung für den Angriff jedoch entschieden zurück. Nach Darstellung des Außenministeriums in Moskau löste ein Geschoss eines ukrainischen Boden-Luft-Raketenabwehrsystems die verheerende Zerstörung aus. Es handele sich um ein System des Typs NASAMS, erklärt die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa. NASAMS ist ein modernes Boden-Luft-Raketenabwehrsystem, das die USA zusammen mit Norwegen entwickelt haben.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow beteuerte erneut, Russland würde keine zivilen Ziele angreifen. "Ins Visier genommen werden Ziele der kritischen Infrastruktur und militärische Ziele, die auf eine oder andere Weise zum militärischen Potenzial des Kiewer Regimes beitragen", so Peskow weiter.
Russland hat alle Vorwürfe seit Anbeginn des Krieges kategorisch zurückgewiesen. Die Führung in Moskau behauptet, der "Westen" habe den Krieg in der Ukraine begonnen, wolle Russland zerstören und zwinge Russland dazu, sich zu verteidigen. Dabei halte sich Russland an das humanitäre Völkerrecht. Für Angriffe auf zivile Ziele in der Ukraine - wie das Theater von Mariupol oder das Kinderkrankenhaus - macht Russland stets die Ukraine selbst verantwortlich. Sei es, indem es von Aktionen ukrainischer Einheiten unter falscher Flagge spricht, die Russland in Misskredit bringen sollen, oder von fehlgeleiteten ukrainischen Raketen. Den Internationalen Strafgerichtshof erkennt Russland nicht an. Unabhängig überprüfbare Belege für seine Behauptungen hat Russland bislang nicht vorgelegt.
UN-Sicherheitsrat tagt zu den Angriffen
Bei mehreren Angriffen auf Kiew und weitere ukrainische Städte sind am Montag Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj mindestens 38 Menschen ums Leben gekommen, darunter vier Kinder. 190 weitere wurden verletzt. In der Hauptstadt wurden in einem großen Wohnhaus in der Nähe der Klinik sieben Menschen getötet. Zwei Menschen starben in einer nicht näher bezeichneten Industrieanlage.
Inoffizielle Berichte gehen von Angriffen auf ein Rüstungsunternehmen aus. In einem weiteren teilweise zerstörten Krankenhaus kamen neun Menschen ums Leben, in einem Geschäftszentrum sieben Menschen.
Faeser kündigt Hilfe an - Biden zeigt sich entsetzt
Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte der Ukraine weitere humanitäre Hilfe zu. Dieser sei "ein furchtbares Kriegsverbrechen, das erneut zeigt, mit welch unfassbarer Unmenschlichkeit Putin seinen Krieg gegen die Ukraine führt", erklärte sie. Deutschland werde seine humanitäre Unterstützung "mit aller Kraft fortsetzen".
Deutschland habe bislang 1116 schwer verwundete, verletzte und kranke Ukrainerinnen und Ukrainer evakuiert, erklärte Faeser. "Weitere Evakuierungen stehen unmittelbar bevor." Viele Opfer hätten Gliedmaßen verloren, sie hätten Schuss- und Explosionsverletzungen. "Auch Kinder haben wir evakuiert, die furchtbare Kriegsverletzungen erlitten haben", erklärte die Ministerin.
US-Präsident Joe Biden sprach von einer "schrecklichen Erinnerung an die Brutalität Russlands". Die Regierung in Washington und die NATO-Verbündeten würden in dieser Woche neue Maßnahmen zur Stärkung der Flugabwehr der Ukraine ankündigen. In Washington kommen die NATO-Staaten ab heute zu einem Gipfeltreffen zusammen.
UN-Generalsekretär António Guterres bezeichnete die Raketenangriffe als "besonders schockierend", wie sein Sprecher Stéphane Dujarric erklärte. Der UN-Weltsicherheitsrat will sich in einer Dringlichkeitssitzung in New York mit den Angriffen befassen.
Ukrainische Angriffe auf russische Regionen
Die Stadtverwaltung von Kiew erklärte den Dienstag zu einem offiziellen Trauertag. Entertainment-Veranstaltungen wurden verboten.
Unterdessen griffen ukrainische Kräfte nach russischen Angaben mehrere Regionen und weiter im Landesinneren mit Drohnen an. Zwei Umspannwerke und ein Öllager im südrussischen Wolgograd seien durch herabfallende Trümmer von Drohnen in Brand geraten, teilt der dortige Regionalgouverneur, Andrej Botscharow, auf Telegram mit. In der Region Rostow brach nach Angaben örtlicher Behörden in einem Umspannwerk ein Brand aus, der aber wieder gelöscht worden sei.
In der Grenzregion Belgorod starben nach Angaben von Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow vier Menschen bei einem nächtlichen Angriff, weitere seien verletzt worden.
Russische Flugabwehrsysteme hätten 38 Drohnen zerstört, darunter 21 über der Region Rostow und sieben über Kursk, erklärt das Verteidigungsministerium in Moskau.