Munition für die Ukraine Woher kommen die "Pavel-Granaten"?
Tschechische Diplomaten hätten bei Drittstaaten Artilleriemunition für die Ukraine "gefunden", verkündete Tschechiens Präsident Pavel vor kurzem. Auch Deutschland will sich beteiligen. Doch woher kommt die Munition?
Jede mögliche Unterstützung für die Ukraine - an seiner klaren Haltung lässt Tschechiens Präsident Petr Pavel seit Beginn seiner Amtszeit im vergangenen Jahr keinen Zweifel aufkommen. Zum zweiten Jahrestag des russischen Überfalls sprach er vor tausenden Tschechen auf dem Altstädter Ring im Herzen Prags erneut darüber, warum ein Sieg der Ukraine so wichtig sei auch für Tschechien.
Krieg führe Russland nicht nur gegen die Ukraine, so das tschechische Staatsoberhaupt. Die russische Aggression sei gegen die gesamte westliche Welt und die europäische Werteordnung gerichtet. Und der Präsident lässt seinen klaren Worten auch Taten folgen. Tschechien steht derzeit an der Spitze der europäischen Munitionsbeschaffung für die Ukraine.
Historisch starke Rüstungsindustrie
Der verzweifelte Mangel vor allem an Artilleriegranaten und Luftabwehrraketen ist zurzeit die wohl größte Schwachstelle der ukrainischen Armee. Eine Millionen Artilleriegeschosse innerhalb eines Jahres hatte die EU der Ukraine ursprünglich versprochen. Doch wegen Produktionsschwierigkeiten wurden nur ein knappes Drittel davon geliefert.
Hier kommt Tschechien ins Spiel. Das Land besitzt historisch eine starke Rüstungsindustrie, private Betriebe handeln in großem Stil mit aufgearbeiteten Gütern aus Warschauer-Pakt-Beständen. In der Vergangenheit haben sie häufig eine zweifelhafte Rolle gespielt - nun aber haben sich ihre Kontakte bewährt.
Hunderttausende Schuss Munition
Während der offizielle Markt für Munition weltweit leergefegt ist, konnten Beauftragte der tschechischen Regierung diskrete Verhandlungen führen. Das Ergebnis präsentierte Präsident Pavel Mitte Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz: Man habe rund eine halbe Million Schuss im Kaliber 155 Millimeter und 300.000 Schuss im Kaliber 122 Millimeter im Ausland "identifiziert", also gefunden.
Die tschechische Wochenzeitschrift "Respekt" sprach mit den Männern, die im Auftrag von Präsident und Regierung in aller Welt nach Munition forschen. Ihre Aktivitäten unterliegen der Geheimhaltung. Unter den Verantwortlichen ist auch der Ukraine-Sonderbeauftrage der Regierung, Tomáš Kopečný.
Er verrät nicht, aus welchen Ländern die Waffen kommen. Nur so viel - es seien Länder, die in dem Krieg neutral geblieben seien oder mit Munitionslieferungen nicht offen gegen Russland auftreten wollten. Genaueres zu sagen sei unmöglich, zitiert ihn das Wochenmagazin, da es den ganzen Prozess gefährden würde. Zumal auch die Russen genauso intensiv nach neuen Bezugsquellen suchten.
Neuer Impuls für Ukraine-Hilfe
Tschechien möchte bei der Aktion vor allem als Vermittler auftreten. Die Finanzierung sollen andere Länder übernehmen, es handelt sich immerhin um 1,5 Milliarden Euro. Eigentlich, so berichtet "Respekt", hätte die gesamte Transaktion hinter verschlossenen Türen stattfinden sollen.
Doch als Präsident Pavel auf der Münchener Sicherheitskonferenz gespürt habe, wie die wenig hoffnungsvolle Lage an der Front auch auf politischer Ebene die Stimmung beeinflusste, habe er sich entschlossen, öffentlich ein Zeichen zu setzen - in der Hoffnung, der Ukraine-Hilfe damit einen neuen Impuls zu geben und zugleich langwierige bilaterale Verhandlungen über die Finanzierung der Lieferungen abzukürzen.
Auch Deutschland beteiligt sich offenbar
Tatsächlich signalisierten schon kurz nach Pavels Auftritt mehrere Länder ihre Bereitschaft, Gelder zur Verfügung zu stellen, darunter Dänemark, Kanada und die Niederlande. Aus dem Bundesverteidigungsministerium heißt es auf ARD-Anfrage, auch Deutschland wolle sich an der Finanzierung beteiligen und einen "erheblichen Teil" der Kosten übernehmen. Die Gespräche dazu seien weit fortgeschritten.
Die Niederlande und Dänemark haben bereits zu Beginn des russischen Überfalls positive Erfahrungen mit Tschechien als gewandtem Vermittler gesammelt: Prag hatte damals die Übergabe von 100 Panzern alter sowjetischer Bauart an Kiew organisiert, es war eine der ersten großen Lieferungen schwerer Technik.
Pavels Stimme findet im Westen Gehör
Eine wichtige Rolle heute spielt auch der persönliche Einsatz von Präsident Pavel. Der NATO-General a.D. und ehemalige Vorsitzende des NATO-Verteidigungsausschusses hat eine Stimme, die auch im Westen gehört wird.
Aufgabe von Präsident und Diplomatie ist es nun, die Finanzierung zu sichern - ein Großteil des Betrages sei noch offen, heißt es. Wenn das gelinge, könnten die Waffen laut Regierung innerhalb von zwei Monaten an die Ukraine geliefert werden. Für Tschechien soll das nicht die letzte derartige Aktion bleiben.
Das Magazin "Respekt" meldete am Donnerstag unter Berufung auf Präsident Pavel, dass die amtlichen Munitionssucher aus Tschechien bei dringend benötigtem Material weiter fündig geworden seien - diesmal auch bei großen Raketen, vor allem für die Flugabwehr, und bei Drohen.