Nach der Wahl in Spanien Misión imposible - Sánchez sucht die Mehrheit
Regierungschef Sánchez arbeitet an einer unmöglich scheinenden Wiederauflage seiner Linkskoalition. Es kommt auf jede einzelne Stimme an - und ein Exil-Katalane könnte ausschlaggebend sein.
Mitte der Woche tauchen Bilder von Pedro Sánchez auf: Vergnügt läuft er mit Schiebermütze und im weißen Sommerhemd durch die Straßen von Marrakesch. Spaniens sozialdemokratischer Regierungschef gönnt sich eine Woche Privaturlaub mit der Familie in Marokko.
Sánchez weiß, wenn er in ein paar Tagen nach Madrid zurückkehrt, beginnen die kniffligen Verhandlungen, die auch über seine Zukunft als Ministerpräsident entscheiden dürften.
Patt im Parlament
Die Parlamentswahl vom 23. Juli hatte unklare Verhältnisse hervorgebracht. Die Konservativen siegten zwar und sind stärkste Kraft. Aber ihnen fehlen trotzdem ausreichend Sitze im Parlament, um zusammen mit den Ultrarechten von Vox auf eine Regierungsmehrheit zu kommen.
Auch das bisherige Linksbündnis der sozialistischen Arbeiterpartei PSOE unter Sánchez mit der linkspopulistischen Partei Unidas Podemos, die kurz vor der Wahl in der neuen Formation Sumar aufgegangen ist, verfehlte die absolute Mehrheit. Aber Sánchez, der den Ruf eines politischen Stehaufmännchens hat, gibt sich überzeugt, dass er genügend Stimmen jenseits seiner bisherigen Partner zusammenkratzen kann.
Exil-Katalane als Königsmacher?
Der frühere Podemos-Politiker und Politologe Pablo Iglesias empfahl Sánchez bereits einen Tag nach der Wahl, er müsse nun einen Verhandlungsführer nach Waterloo schicken. Denn dort, in der belgischen Gemeinde bei Brüssel, lebt der geflohene katalanische Separatistenführer Carles Puigdemont im Exil.
Spaniens Justiz versucht nach wie vor, ihm wegen des illegalen Abspaltungsversuchs im Jahr 2017 den Prozess zu machen. Politisch interessierte sich in Spanien eigentlich kaum noch jemand für den Exil-Katalanen. Nun plötzlich avanciert Puigdemont jedoch zum potentiellen Königsmacher im Madrider Machtpoker.
Die nachträgliche Auszählung der Auslandsstimmen spielt Puigdemont und seiner Regionalpartei Junts in die Hände. In einem Madrider Wahlbezirk mussten die Sozialisten nachträglich noch einen Sitz an die Konservativen abgeben. Für die Wahl zum Regierungschef wäre Sánchez daher darauf angewiesen, dass einige Abgeordnete von Puigdemonts Partei für ihn stimmen. Deren bloße Enthaltung reicht nicht mehr aus.
Zusätzlich müssten auch die meisten Abgeordneten der anderen Regionalparteien im neuen Parlament Sánchez wählen. Dieser ist damit zwar in einer rechnerisch noch möglichen, jedoch politisch fast unmöglichen Mission unterwegs.
Maximalforderungen aus Katalonien
Den Preis für die Unterstützung Sánchez' hat Puigdemonts katalanische Partei Junts sehr hoch angesetzt. Als öffentlich zur Schau gestellte Maximalforderung verlangt sie nichts weniger als die Amnestie für alle Separatisten, die im Zuge des illegalen Abspaltungsversuchs vor mehr als fünf Jahren verurteilt worden sind, sowie ein neues Unabhängigkeitsreferendum. Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen kann Sánchez vor allem auf Letzteres eigentlich nicht eingehen.
Mit den richtigen Verhandlungen will Sozialistenführer Sánchez erst Mitte August beginnen, nachdem sich das neue Parlament formiert hat. Erste diskrete Gespräche innerhalb des linken Lagers laufen aber längst.
Sozialdemokratische Offerten
Die Sozialisten ließen diese Woche bereits einen ersten Testballon steigen. Sollte Sánchez als Regierungschef im Parlament wiedergewählt werden, lockt die stellvertretende Generalsekretärin der PSOE, María Jesús Montero, dann werde das komplizierte Finanzausgleichssystem reformiert. Es geht um einen möglichen Schuldenerlass, zusätzliche Mittel und Kompetenzen. Es wäre ein Leckerbissen für das hochverschuldete Katalonien.
Und Yolanda Diaz, die bisherige Arbeitsministerin und Vorsitzende der neuen linken Plattform Sumar, unterbreitete den Vorschlag, künftig Regionalsprachen wie Katalanisch oder Baskisch im Parlament zuzulassen. Die Offerte kommt wohl nicht ohne Hintergedanken.
Konservative Hoffnung
Eine weitere Unbekannte im aktuellen Mehrheitspuzzle ist Christina Valido, Abgeordnete der Partei Coalicíon Canaria. Sie sei bereit, für Sánchez zu stimmen - allerdings auch für seinen konservativen Herausforderer Alberto Núñez Feijóo, wenn dieser von Vox als Regierungspartner ablässt. Feijóo will bei den anstehenden Koalitionsbemühungen des linken Lagers nicht bloß zusehen.
Spanische Medien berichteten über ein erstes heimliches Treffen mit dem Vorsitzenden der Rechtsaußenpartei Vox. Feijóo, der faktische Wahlgewinner ohne Mehrheit, wirbt laut für eine von den Sozialisten tolerierte Minderheitsregierung mit ihm an der Spitze. Eine Forderung, die Sánchez selbstbewusst ausgeschlagen hat, genauso wie ein gemeinsames Sondierungstreffen im Interesse Spaniens.
Felipes schwierige Entscheidung
Die konservativen Avancen haben wohl einen weiteren Adressaten. Es geht offenbar auch darum, sich dem spanischen Königspalast als potentieller Regierungschef zu präsentieren.
Denn als Staatsoberhaupt trifft König Felipe VI. nach dem 17. August die schwierige Entscheidung, ob Feijóo oder Sánchez eine mehrheitsfähige Regierung bilden soll. Sollte der Auserkorene nach zwei Versuchen scheitern, folgen automatisch Neuwahlen. Es wäre nicht das erste Mal in Spanien.