Wahlen in Serbien Im Schlingerkurs zwischen Ost und West
Serbiens Präsidentschafts- und Parlamentswahlen dürften eine Wiederwahl von Präsident Vučić bringen. Er laviert auch in Kriegszeiten zwischen EU-Beitritt und Russlandnähe. Junge Oppositionelle sehen das Land auf dem falschen Weg.
Aleksa Savić lächelt und drückt dem jungen Vater mit der Babytrage einen Flyer in die Hand. An diesem lauen Abend ist an der Donaupromenade am Stadtrand Belgrads viel Betrieb, die Laune der meisten Menschen ist gut, sie nehmen das Werbematerial an. Nur ein Mann wird laut: "Ihr habt keine Chance gegen Vučić, nicht mal fünf Prozent werdet ihr erreichen!", pöbelt er die kleine Gruppe Wahlkämpfer im Vorbeigehen an.
Sie sind Oppositionspolitiker, Mitglieder kleiner Parteien, die sich zusammengeschlossen haben, um gemeinsam gegen den amtierenden Präsidenten Aleksandar Vučić zu kämpfen. Vučić, Vorsitzender der rechtskonservativen serbischen Fortschrittspartei, konnte seine Macht in den letzten Jahren zunehmend ausbauen, seine Partei kontrolliert die größten TV-Sender und Boulevardmedien.
Eher Autokratie als Demokratie
In Serbien für die Opposition anzutreten sei kein Vergnügen, erklärt der Maschinenbauingenieur Savić: "Wir haben Angst um unsere Arbeit, wenn wir uns auf der Straße bewegen, wenn wir versuchen, unsere politische Position an die Leute weiterzugeben - es gibt immer wieder gewaltsame Zwischenfälle."
Derzeit sei Serbien eher eine Autokratie als eine Demokratie, sagt Politikanalyst Dušan Milenković. Seit jeher gebe es im Land eine Bewunderung für starke Führungsfiguren wie Russlands Präsidenten Wladimir Putin. In der letzten Umfrage, die sein Institut kurz vor dem russischen Angriffskrieg durchführte, bekam Putin Zustimmungswerte von mehr als 70 Prozent in der serbischen Bevölkerung.
Dazu komme die lange Tradition der russisch-serbischen Bruderschaft, die auf einer ähnlichen Kultur und Religion basiere. Auf die Spitze getrieben wurde die Liebe zu Russland kürzlich auf zwei großen Demonstrationen in Belgrad - eine explosive Mischung aus Orthodoxen, Hooligans, Männern, die ihre Autos mit einem großen "Z" bekleben, das Zeichen für Zustimmung zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Kreuze wurden neben dem stilisierten Konterfei des russischen Präsidenten in die Höhe gehalten, erleuchtet vom Feuer einiger Bengalos.
Politikberater: Serbien muss Position beziehen
Für den Politikberater Milenković besteht das Problem vor allem darin, dass die Mehrheit der Gesellschaft diese laute Minderheit nicht verurteile. Auch Vučić hält sich bedeckt in Sachen Kritik an diesen prorussischen Protesten und nimmt dabei in Kauf, dass sich sein Land in Europa isoliert - wohl auch, um keine Wählerstimmen zu verlieren.
Während alle EU-Länder in Bezug auf den Krieg in der Ukraine eine einheitliche Außenpolitik verfolgen, nämlich Russland mit Sanktionen zu belegen, steht Serbien allein da. Zwar schließt sich das Land der UN-Resolution an, die die russische Invasion verurteilt, den Sanktionen allerdings nicht.
"Serbien ist ein vom Krieg in den 1990er-Jahren stigmatisiertes Land. Wir versuchen seit 20 Jahren, dieses Stigma loszuwerden", sagt Milenković. "Wenn wir jetzt von der Europäischen Öffentlichkeit dabei beobachtet werden, dass wir uns als einziges Land der Allianz gegen Russland nicht anschließen, dann sind wir Serben die 'Troublemaker', dann sind wir wieder auf der falschen Seite der Geschichte."
Serbien müsse nun schnell handeln und Position beziehen, bevor der Krieg vorbei ist. Denn eigentlich strebt das Land in die Europäische Union, die Beitrittsverhandlungen laufen, die Chancen standen zuletzt gar nicht schlecht. Wirtschaftlich gesehen ist Deutschland in Serbien der bedeutendste Investor - weit vor Russland und China. 400 deutsche Firmen haben sich inzwischen schon im Land angesiedelt.
"Das Wertesystem ist total umgekrempelt"
Für Aleksa Savić und seine politischen Mitstreiter gehört Serbien in die EU. Sie erzählen, dass sie ihr Land lieben, im Falle eines erneuten Wahlsieges von Vučić aber auswandern wollen.
"Von diesen Wahlen hängt vieles ab, nicht nur für mich persönlich, sondern für alle Jugendlichen", sagt er. Wir wollen Familien gründen und in einer Gesellschaft, wie sie jetzt ist, ist das eine schlechte Idee. Das Wertesystem ist total umgekrempelt. Wenn wir verlieren, gehen wir."
Vučićs Zustimmungswerte sind jedoch stabil. Der Krieg in der Ukraine hilft ihm innenpolitisch. Auf seinen Wahlplakaten ist die Botschaft eindeutig: "Frieden. Stabilität. Vučić". In Umfragen liegt er inzwischen bei 60 Prozent und ist damit kaum noch einzuholen.