Ukrainischer Präsident Selenskyj "Globale Sicherheitsarchitektur funktioniert nicht"
Nach fast einem halben Jahr Krieg im eigenen Land stellt der ukrainische Präsident Selenskyj die globale Sicherheitsarchitektur insgesamt in Frage. Er warf Russland vor, seine Verhandlungsbereitschaft nur vorzugaukeln und kritisierte Altkanzler Schröder.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Ukraine-Krieg in eine Reihe internationaler Konflikte gestellt und die globale Sicherheitsarchitektur insgesamt als unzureichend kritisiert. Derzeit gebe es Schlagzeilen über Konflikte auf dem Balkan, um Taiwan und den Kaukasus, die ein Faktor eine. "Die globale Sicherheitsarchitektur hat nicht funktioniert."
Erneut warf Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache Russland vor, mit seinem Angriffskrieg gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Das Problem sei, dass die Welt Russland diese Verstöße - sei es die Annexion der Krim oder der Abschuss der Boeing über dem Donbass - lange habe durchgehen lassen. Der Krieg in der Ukraine zeige, wie fragil die Freiheit sei. Sie könne "nur durch kollektives Handeln geschützt werden, und damit dies dauerhaft funktioniert, bedarf es einer wirksamen globalen Sicherheitsarchitektur, die dafür sorgt, dass kein Staat jemals wieder Terror gegen einen anderen Staat einsetzen kann".
USA: Russland will Beweise zu Oleniwka fingieren
Selenskyj verwies in diesem Zusammenhang auf die Explosion in einem Straflager in Oleniwka im Osten der Ukraine, bei der vergangene Woche nach Angaben der russischen Seite mehr als 50 ukrainische Kriegsgefangene getötet und 75 weitere verletzt wurden.
Moskau und Kiew werfen sich gegenseitig vor, Teile des Straflagers gezielt zerstört zu haben, um Gräueltaten zu vertuschen. Dort wurden Ukrainer festgehalten, die nach dem Fall der Hafenstadt Mariupol gefangen genommen wurden.
China sollte Russland zur Beendigung des Krieges aufrufen
Selenskyj warf Russland in seiner Ansprache zudem vor, seine Verhandlungsbereitschaft nur vorzugaukeln. Wäre Russland wirklich an einer friedlichen Lösung des Konflikts interessiert, zöge es nun nicht weitere Reserven im Süden der Ukraine zusammen, sagte Selenskyj.
Einem chinesischen Zeitungsbericht zufolge rief Selenskyj Chinas Führung auf, ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf Russland zur Beendigung des Krieges geltend zu machen. "Es ist ein sehr mächtiger Staat. China hat eine mächtige Wirtschaft ... Es kann also Russland politisch und wirtschaftlich beeinflussen. Außerdem ist China ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates", zitiert die "South China Morning Post" Selenskyj. Er suche nach einer Gelegenheit, um mit dem chinesischen Staatschef Xi Jingping direkt zu sprechen.
Kritik an Schröder: "Es ist einfach widerlich"
Harsche Kritik übte Selenskyj an Alt-Kanzler Gerhard Schröder, ohne dessen Namen zu nennen: "Es ist einfach widerlich, wenn ehemalige Führer mächtiger Staaten mit europäischen Werten für Russland arbeiten, das gegen diese Werte kämpft."
Schröder hatte Russland nach seiner Moskau-Reise als verhandlungsbereit dargestellt. Dafür kritisierte ihn auch ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba: "Es gibt nichts Zynischeres als die Behauptungen der Putin-Anhänger darüber, dass Russland bereit ist zu Verhandlungen." Die täglichen Beschüsse ukrainischen Territoriums sagten etwas anderes aus, meinte er. "Russland bleibt auf den Krieg konzentriert - alles andere ist eine Nebelwolke", fügte Kuleba hinzu.
Der scheidende ukrainische Botschafter Andrij Melnyk sagte im ZDF: Er sehe kein Anzeichen dafür, dass Putin bereit sei zu verhandeln. "Das erste Zeichen wäre, wenn Putin zumindest jetzt aufhört, auf Zivilisten zu schießen und Städte zu bombardieren. Das wäre eine bessere Botschaft, als das, was wir jetzt von Herrn Schröder gehört haben."
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Kämpfe mit unverminderter Härte
An Russlands Verhandlungsbereitschaft zweifelt Kiew, weil Russland seine Angriffe unvermindert fortsetzt. Im ostukrainischen Gebiet Donezk gibt es weiter schwere Kämpfe. Das ukrainische Militär gab bekannt, dass eigene Truppen aber mehr als ein Dutzend Attacken abwehren konnten. In der Region Charkiw im Nordosten hätten Russen ein Dutzend Ortschaften unter Feuer genommen. Auch in der Nähe der Stadt Kramatorsk im Zentrum der Ukraine seien acht Kommunen beschossen worden.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.