Finanzpolitik Die Schuldenbremse - in der Schweiz kaum umstritten
Während Deutschland über die Schuldenbremse streitet, gilt sie in der Schweiz als finanzpolitische Erfolgsgeschichte. Aber auch dort steigt der Druck, mehr zu investieren.
Die "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ) nannte sie eine "Superwaffe", der Wirtschaftsverband Economiesuisse einen "Standortvorteil" und die Schweizer Finanzministerin bezeichnete sie gar als "beste Freundin" - die Schuldenbremse ist in der Schweiz kaum umstritten. Es handelt sich um Artikel 126 der schweizerischen Bundesverfassung, gegliedert in fünf Absätze, darunter der entscheidende Satz: "Der Bund hält seine Ausgaben und Einnahmen auf Dauer im Gleichgewicht."
Dieses finanzpolitische Mantra stand Anfang September im Mittelpunkt eines Festakts. In Bern wurde das zwanzigjährige Bestehen der Schuldenbremse zelebriert. Während die liberale Finanzministerin Karin Keller-Sutter von ihrer "besten Freundin" sprach, saß im Publikum der Vater der Schuldenbremse.
Höhe der Einnahmen gleich Höhe der Ausgaben
Ex-Finanzminister Kaspar Villiger hatte sie Anfang des Jahrhunderts erfunden und beim Volk mit einem einfachen Vergleich dafür geworben: "Die Schuldenbremse verlange vom Staat, was jede solide Familie auch mache - nämlich auf Dauer nicht mehr auszugeben, als man einnimmt."
Das Prinzip ist banal: In Rezessionen sind Defizite erlaubt, die in der Hochkonjunktur mit Überschüssen kompensiert werden müssen. In Ausnahmefällen wie Unwettern, schweren Rezessionen oder Pandemien ist eine temporäre Verschuldung möglich. Grundsätzlich aber gilt die strikte Formel: Aus der Höhe der Einnahmen leitet sich die Höhe der Ausgaben ab.
Villiger zog damals Lehren aus der Finanzmisere der 1990er-Jahre, in denen die Schulden im Zuge einer mehrjährigen Rezession förmlich explodiert waren. Bei einer Volksabstimmung 2001 sprach sich die überwältigende Mehrheit von fast 85 Prozent für die Bremse aus.
Schweizer Schuldenbremse sehr streng
Diese direktdemokratische Geburt sei bereits ein entscheidender Vorteil gewesen, meint der Ökonom Martin Mosler vom Institut für Wirtschaftspolitik in Luzern: "Das ist eine eindeutige politische Legitimation und ein großer Unterschied zu Deutschland, wo es indirekt über das Parlament ging. Daher kann die Schuldenbremse in der Schweiz politisch nicht missbraucht werden für parteipolitische Ziele. Das unterscheidet die Schweiz von Deutschland."
Dabei ist die schweizerische Schuldenbremse im internationalen Vergleich sehr streng. "In Deutschland darf man 0,35 Prozent strukturelle Neuverschuldung haben. In der Schweiz sind es null Prozent", erläutert Mosler.
Tilgungspflicht von drei Jahren
Das schweizerische Prinzip ist bis heute erfolgreich: Nach der Einführung im Jahr 2003 ging der Stand der Bruttoschulden von 130 auf 97 Milliarden Franken zurück. Dann kam Corona. Ende 2022 wies der Bund 120 Milliarden Schulden aus. Nun geht es wieder von vorne los, die Fehlbeträge müssen erneut getilgt werden, so verlangen es Verfassung und Gesetz.
Es gelte dabei eine Pflicht zur schnellen Tilgung - ein weiterer Unterschied zu Deutschland, sagt Mosler: "Für Corona-Schulden muss innerhalb von sechs Jahren die Differenz ausgeglichen werden, für andere Ausgaben sogar innerhalb von drei Jahren. In Deutschland dagegen gibt es keinen Zeithorizont, den man einhalten muss. Da sind die Schweizer verbindlicher."
Überschüsse können nicht genutzt werden
Aber auch in der Eidgenossenschaft dürfte auf die Schuldenbremse ein Stresstest zukommen. Es stehen Investitionen an: beim Klimaschutz, Militär, der Bildung und Energiewende. Finanzministerin Keller-Sutter sprach beim Festakt im September zudem von Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine und für die Altersvorsorge.
Angesichts dessen rüttelt die Sozialdemokratische Partei (SP) zwar nicht am Grundsatz der Schuldenbremse, kritisiert aber, dass in der Schweiz Defizite kompensiert werden müssen, Überschüsse aber nicht genutzt werden dürften. So bemängelte SP-Nationalrätin Sarah Wyss: "Schulden in Krisenzeiten wie jetzt abzubauen, ist nicht sehr zielführend. Das kommt von dieser Asymmetrie, dass wir Überschüsse nicht mehr gebrauchen dürfen im nächsten Jahr."
Ausnahme Bahnen
Dass die Schuldenbremse auch eine Art Schlupfloch zulässt, zeigt sich bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Seit 2004 hat der Bund dem notorisch klammen Unternehmen immer wieder zusätzliche Gelder in Form von Darlehen beigesteuert, um die finanzielle Schieflage der SBB - vor allem aufgrund des Regional- und Güterverkehrs - auszugleichen.
Dies, und auch die Senkung der Trassenpreise, fallen nicht unter die strengen Vorgaben der Schuldenbremse und haben dafür gesorgt, dass die Bruttoschulden des Bundes an der Schuldenbremse vorbei um knapp sechs Milliarden Franken zugenommen haben, wie die NZZ berichtet. Dass die Schweiz beim Thema SBB großzügig über die Regeln ihrer Schuldenbremse hinwegsieht, liegt wohl an einer simplen Wahrheit: Die Bahnen sind in der Bevölkerung noch beliebter als die Schuldenbremse.
Dennoch rät Ökonom Martin Mosler den Deutschen, sich das Schweizer Erfolgsmodell genauer anzuschauen. "Die Schweizer Schuldenbremse ist demokratischer, transparenter, strikter und verbindlicher. Darin könnten die Deutschen durchaus etwas von der Schweiz lernen."