Lkw in den syrischen Kurdengebieten.

Kurden in Nordostsyrien Wo es an allem fehlt

Stand: 19.12.2024 21:11 Uhr

In Nordostsyrien ist die Versorgungslage prekär. Zehntausende neue Flüchtlinge stellen die Bürgermeisterin von Hasaka vor Probleme. Es fehlen Unterkünfte und Wasser für die Bevölkerung.

Wenn der Traktor mit der Wasserlieferung durch ihre staubige Straße fährt, atmet Berivan Abbas auf. Seit vier Tagen sitzt ihre Familie auf dem Trockenen - in einem Rohbau in Kamischli ohne fließend Wasser. "Wasserlieferungen sind sehr teuer geworden. Weil nur mein Mann arbeitet, kann ich nur selten einen Lkw kommen lassen." 

Wegen der galoppierenden Inflation müsste Berivan 90 Euro im Monat zahlen, um genügend Wasser für ihre vierköpfige Familie in ihrem alten Blechtank zu haben. Für sie schier unbezahlbar in der aktuellen Lage in Nordostensyrien - einer Region, die durch den jahrelangen Bürgerkrieg immer tiefer in die Wirtschaftskrise gerutscht ist.

Islamistische Milizen lassen Fluss austrocknen

Der hohe Wasserpreis hat auch andere Ursachen. Viele Flüsse in der kurdisch-dominierten Gegend sind trocken - auch der Chabour-Fluss. Müll sammelt sich, Passanten spazieren durch das staubtrockene Flussbett in der Stadt Hasaka.

Bürgermeisterin Sadia Kuti steht vor einer Landkarte und zeigt auf den Verlauf des Chabours. Er entspringt in der Türkei und fließt genau dort nach Nordostsyrien, wo seit 2019 islamistische Milizen mit Hilfe des türkischen Militärs syrisches Gebiet erobert haben.  

"Seitdem lassen sie kein Wasser mehr durch. Schon fünf Jahre geht das so", klagt Kuti, die die Stadtverwaltung in einer Doppelspitze neben einem Mann anführt. In allen Institutionen Nordostsyriens gilt die Regel, dass Frauen neben Männern an der Spitze stehen. "Es gibt immer zwei Sichtweisen: die männliche und die weibliche. Wir entscheiden gemeinsam, weil wir alle Menschen repräsentieren."

Menschen füllen Flüssigkeit in Behälter in den syrischen Kurdengebieten.

Der Wassermangel in der Region ist eklatant.

Gedenken an gefallene Kurden

Auf Kutis Schreibtisch stehen Fotos von gefallenen Kämpfern der kurdischen YPG-Miliz. Darüber prangt ein Bild Abdullah Öcalans - dem türkischen Gründer der als Terrororganisation eingestuften PKK, die immer wieder blutige Attentate in der Türkei verübt. Ankara sieht in der YPG-Miliz in Nordostsyrien einen Verbündeten der PKK, die territorial und ideologisch ähnliche Ziele verfolgt. Türkische Regierungsvertreter bezeichnen einen Teil der kurdischen Kräfte in Nordostsyrien deshalb als Terroristen. 

Sadia Kuti muss darüber lachen, während sie zu ihrem Auto geht. "Wir sind diejenigen, die Menschenrechte verteidigen - mit dem Leben unserer Soldaten. Wie können wir dann Terroristen sein?" Was sie meint: Vor allem die Kurden waren es, die die Terroristen des selbsternannten Islamischen Staates besiegt hatten. In Hasaka sitzen die gefährlichen Dschihadisten in Gefängnissen ein.

Schule wird zur Notunterkunft

Kurz darauf fährt Sadia in einer Berufsschule vor. Sie dient jetzt als Notunterkunft für Geflüchtete. Darin teil sich eine achtköpfige Familie ein zwölf Quadratmeter großes Zimmer. Oberhaupt Wuahida Hanan ist vor islamistischen Milizen geflohen, wie schon 2018, als die Türkei mit islamistischen Milizen ihre Region Afrin erobert und besetzt hatte. "Die Milizen wollten erneut unser Dorf überrennen, uns alle umbringen. Wir wissen sehr gut, was sie uns antun wollen." 

Hanans Tochter kam 2018 in Kobane im Kampf gegen IS-Terroristen ums Leben. Vor den Kämpfen dort kommen jetzt wieder viele Menschen in Hasaka an, weil sie befürchten, dass die Milizen Kobane mit Hilfe des türkischen Militärs erobern könnten. Ziel der Türkei ist die Schaffung einer Pufferzone auf nordsyrischem Gebiet.

Ein bewaffneter Mann in den syrischen Kurdengebieten.

Die Kämpfe in Nordostsyrien haben nicht aufgehört.

Es fehlt an allem

Die Lage ist für Bürgermeisterin Sadia eine Herausforderung: "Mit all den Flüchtlingen, die jetzt zu uns gekommen sind, ist die Situation eskaliert: Wir brauchen mehr Wasser, mehr Strom, mehr Unterkünfte." Schon seit Jahren erstrecken sich riesige Lager über die Außenbezirke Hasakas. Dort leben seit fünf Jahren Jesiden, Kurden, Armenier und assyrische Christen. Für sie ist der Bürgerkrieg in Syrien noch nicht vorbei.  

In Kamischli probiert Berivan das gelieferte Wasser. "Schon wieder salzig", ärgert sie sich. Ihre Familie leide, gerade jetzt im Winter. "Wir haben keine Fenster, keine Türen. Meine Kinder sind oft krank und müssen ins Krankenhaus." Berivan wünscht sich ein Ende der Bedrohung und der Kämpfe in Nordostsyrien. Damit es mit dem Land wieder bergauf gehe. Auch Stromnetze und Kraftwerke sind durch häufigen Drohnenbeschuss teilweise zerstört. Überall hört man das Rattern der Dieselgeneratoren. "Es wird Zeit für Frieden."