Weniger CO2-Ausstoß gefordert Schweiz streitet über EGMR-Klimaurteil
Vor zwei Wochen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweiz dazu verurteilt, mehr für den Klimaschutz zu tun. Seitdem wird über die Folgen des Urteils hitzig diskutiert.
Das bürgerlich-konservative Lager schäumt seit Bekanntwerden des Straßburger Urteils. Politiker betreiben Richterschelte, beklagt wird nicht weniger als ein Angriff auf die nationale Souveränität. Die rechtsnationale SVP schlachtete das Urteil direkt aus - für ihren Abschottungskurs gegenüber Europa. Sie fordert, die Schweiz müsse als Reaktion auf das Urteil aus dem Europarat austreten.
SVP-Abgeordneter spricht von "dekadenten Richtern"
"Das gibt sehr wohl zu denken", sagt Christian Imark, Parlamentsabgeordneter der SVP. "Wie dekadent diese Straßburger Richter heute schon geworden sind, damit sie uns reinreden müssen und unsere direktdemokratischen Entscheide korrigieren wollen. Das gibt mir zu denken und das ist hochgradig dramatisch."
Auch die FDP-Abgeordnete Susanne Vincenz-Stauffacher kritisiert das Urteil für mehr Klimaschutz. "Ich kann diese Schlussfolgerung so nicht nachvollziehen und würde mich auch dagegen verwahren, dass ein internationales Gericht jetzt auf die nationale Klimapolitik - in unserem Fall in die Klimapolitik der Schweiz - direkt Einfluss nehmen möchte." SVP und auch die FDP finden, die Schweiz stehe beim Klimaschutz gar nicht so schlecht da.
Grüne und Sozialdemokraten fordern mehr Anstrengungen
Dringenden Handlungsbedarf sehen dagegen Grüne und Sozialdemokraten. "Wir müssen mehr machen im Klimaschutz. Und da haben wir es im Parlament in der Hand", ruft die Sozialdemokratin Céline Widmer den Konservativen in einer hitzigen Fernsehdebatte zu. Der Kanton Zürich mache es mit seinem Gesetz für mehr klimaneutrale Heizungen vor, so die Sozialdemokratin.
Wie sehr die Debatte die Schweiz spaltet, zeigt auch ein Blick in die Zeitungskommentare. Die linke Wochenzeitung WOZ feierte das Urteil: "Für Klimaaktivist:innen bringt der Erfolg der Klimaseniorinnen neuen Schub. Denn er macht klar: Ihr Widerstand ist legitim. Der Druck wird weiterhin nötig sein, wie die bürgerlichen Reaktionen aufs Urteil zeigen: Dort scheint jede Einsicht zu fehlen."
Die konservative Neue Zürcher Zeitung kommentierte dagegen: "Es kann nicht sein, dass Klimaaktivisten zusammen mit der Justiz die demokratische Debatte ausschalten wollen. In der Schweiz machen Parlament und Volk die Klimapolitik - und nicht eine Gruppe von Richtern."
Schweizer Richter will vermitteln
Bei Volksabstimmungen hatten die Schweizerinnen und Schweizer in den vergangenen Jahren ein Klimagesetz angenommen, ein anderes Mal schärfere CO2-Vorgaben aber abgelehnt. Dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehört auch ein Schweizer Richter an. Andreas Zünd hat am Klimaurteil gegen sein Land mitgearbeitet.
Zünd weist den Vorwurf zurück, das Urteil richte sich gegen die direkte Demokratie. Das Gegenteil sei der Fall, sagte der Sozialdemokrat im Schweizer Fernsehen, um die Wogen zu glätten. Das Urteil sei keine Bevormundung. Klimaschutz sei ein wichtiges politisches Thema und darüber werde es immer demokratische Auseinandersetzungen geben. "Der Gerichtshof hat hier nur gesagt: So weit wie die Schweiz bisher gekommen ist, genügt das den Anforderungen nicht", sagte Zünd. "Es wird demokratische Auseinandersetzungen geben, wie man dieses Problem löst."
Volksabstimmung über Erneuerbare Energien
Die Schweizer Regierung will das Urteil erst einmal genau analysieren. Dort weiß man wohl, dass es schwierig werden dürfte, schnell mehr Klimaschutz durchzusetzen. Dafür braucht es nicht nur eine Mehrheit im Parlament, sondern auch im Volk. Ein erster Stimmungstest steht im Juni an - dann entscheiden die Schweizer bei einer schon länger geplanten Volksabstimmung über einen verstärkten Ausbau der Erneuerbaren Energien.