Putin und Schoigu schütteln einander auf dem Roten Platz in Moskau (Russland) die Hände.
interview

Russlands Verteidigungsministerium Kein Vertrauen mehr in Schoigus Kriegsführung

Stand: 13.05.2024 20:48 Uhr

In der Kritik stand Russlands Verteidigungsminister Schoigu schon lange - warum also wird er jetzt abgelöst? Die Russlandexpertin Margarete Klein erklärt das mit den Kriegszielen des Kreml und sagt, welche Lehren der Westen daraus ziehen sollte.

tagesschau.de: Warum verliert Sergej Schoigu seinen Posten gerade jetzt, da sich Russland mitten in einer Form von Offensive befindet?

Margarete Klein: Putin hat einen Weg gewählt, der gesichtswahrend für Schoigu ist. Er hat deshalb den Anlass der Regierungsneubildung gewählt, der immer zu Beginn einer Amtszeit eines Präsidenten ansteht. Das wahrt den Anschein der Normalität - eine Abberufung zu einem anderen Zeitpunkt wäre ein klares Anzeichen der Unzufriedenheit mit Schoigu gewesen. Und Schoigu wurde zugleich der Posten des Sekretärs des Nationalen Sicherheitsrats angeboten. Das zeigt, dass Putin Schoigu weiterhin als loyal schätzt und ihn nicht ins Nichts entlässt.

Margarete Klein, Stiftung Wissenschaft und Politik, über die Entlassung von Russlands Verteidigungsminister Schoigu

tagesschau24, 13.05.2024 14:00 Uhr

"Vorwürfe der Inkompetenz und Korruption"

tagesschau.de: Es gab schon lange Kritik an Schoigu. Wie konnte er sich so lange im Amt halten?

Klein: Schoigu ist in Russland durchaus ein politisches Schwergewicht. Er ist seit mehr als 30 Jahren einer der beliebtesten Politiker im Land. Seine Popularität stammt schon aus der Zeit, als er unter dem vormaligen Präsidenten Boris Jelzin Minister für Zivilschutz war. Schoigu war in diesem Sinne kein Geschöpf Putins, auch wenn er sich diesem gegenüber immer loyal verhalten hat. Auch dafür wird er mit dem Posten des Sekretärs des Nationalen Sicherheitsrates belohnt.

Andererseits hat Schoigus Beliebtheit durch den Krieg gelitten. Das ist für Putin zwar kein entscheidendes Kriterium. Entscheidender sind militärische Inkompetenz und Konflikte zwischen Rüstungsindustrie als Lieferanten und Verteidigungsministerium als Kunden sowie Korruption, durch die die Verwirklichung der Kriegsziele gefährdet wird. Auch der offene Machtkampf mit dem früheren Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin hat ihn beschädigt, auch wenn Schoigu ihn gewonnen hat.

Margarete Klein
Zur Person
Margarete Klein ist Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Ihre Schwerpunkte sind Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik Russlands.

"An Schoigus Stuhl wurde bereits gesägt"

tagesschau.de: Andererseits wird vielen führenden Vertretern des Systems Putin - und ihm selbst - eine gewaltige Selbstbereicherung vorgeworfen. Da steht und stand Schoigu nicht alleine.

Klein: Korruption ist das Schmiermittel des Systems und im Militär nicht unüblich. Man toleriert und fördert sie, solange sie keine negativen Auswirkungen auf das Gesamtziel hat. Die Möglichkeiten der Bereicherung haben durch die erhöhten Militärausgaben noch zugenommen, und zugleich legte der Krieg die Folgekosten der Korruption im Militär offen. Russland steckt rund 29 Prozent seines Haushalts in den Verteidigungsbereich, eine gewaltige Summe. Und dafür will es auch gewinnen und schaut jetzt stärker auf die Korruption in diesem Bereich als in anderen Sektoren.

Vor kurzem ist einer der Stellvertreter Schoigus vor laufender Kamera in Uniform festgenommen worden - das zeigte, dass bereits an Schoigus Stuhl gesägt wurde. Vor allem aber hat die Führung offenbar nicht mehr geglaubt, dass er derjenige ist, der den Krieg gegen die Ukraine in eine neue Phase überleiten kann.

"Technokrat ohne Hausmacht"

tagesschau.de: Das traut man nun eher einem Zivilisten zu. Andrej Beloussow kommt aus der Wirtschaft. Welches Signal geht davon aus?

Klein: Russlands Führung glaubt offenkundig, dass dieser Krieg nicht in kurzer Zeit alleine durch personelle zahlenmäßige Überlegenheit entschieden wird, sondern sie bereitet sich auf einen langen Krieg vor, der von dem gewonnen wird, der am effizientesten und effektivsten moderne Rüstungsgüter produziert. Deshalb holt man mit Beloussow jemanden aus dem Wirtschaftssektor, der überhaupt keinen Background im Militär hat, der loyal und ein sogenannter Technokrat ohne eigene Hausmacht ist. Damit wird eine Person gewählt, die keine Seilschaften im Verteidigungsministerium zu bedienen hat und leichter vom Kreml zu kontrollieren ist. Zugleich verbindet sich damit wohl die Hoffnung, dass die gigantischen Mittel im Verteidigungshaushalt so effizient eingesetzt werden, wie der Kreml es möchte, und dafür stand Schoigu nicht.

tagesschau.de: Was wird Beloussow vermutlich anders machen?

Klein: Beloussow wird darauf mit dem Blick des Wirtschafters gucken und versuchen, Effizienzsteigerungen und auch Modernisierungen voranzutreiben. Das bedeutet: Wirtschaft und Militär werden im Bereich der Rüstungsindustrie viel stärker vernetzt, denn bislang passten die Bedürfnisse des Militärs nicht unbedingt zu dem, was die Rüstungsindustrie liefern kann. Es geht auch um innovative Technologien und KI.

"Russland stellt sich auf einen langen Krieg ein"

tagesschau.de: Bedeutet das, dass Russland damit gänzlich zur Kriegswirtschaft übergeht?

Klein: Noch ist das nicht der Fall, weil Kriegswirtschaft bedeuten würde, dass man in allen Bereichen die Priorität ausschließlich auf den Krieg setzt. Zwar hat der Krieg Priorität, aber er ist sicher nicht das alleinige Kriterium, auch um zu viele innenpolitische Zumutungen zu vermeiden. Die Kriegsziele Russlands aber bestehen weiter. Die Führung stellt sich auf einen langen Krieg ein, das zeigt auch das jüngste Budget für das Militär.

Fast ein Drittel der russischen Regierungsposten wird neu besetzt

Ina Ruck, ARD Moskau, tagesschau, 13.05.2024 20:00 Uhr

tagesschau.de: Was bedeutet das für den Westen? Welche Lehren sollten die Unterstützer der Ukraine aus dieser Umbesetzung ziehen?

Klein: In Bezug auf die Ukraine setzt Russland darauf, dass die Ukraine vom Westen nicht so viele und so moderne Rüstungsgüter bekommt, wie sie braucht, und dass Russland perspektivisch mehr produzieren kann. Darauf muss sich der Westen einstellen. Und er muss darauf schauen, mit welcher Quantität qualitativ neue Waffensysteme von der russischen Rüstungsindustrie hergestellt und der Armee zur Verfügung gestellt werden, zum Beispiel auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, mit automatisierten oder halbautomatisierten Kampfsystemen. Das könnte auch über die Ukraine hinaus die Gefährdungslage durch Russland für uns erhöhen.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de