Möglicher Anschlag auf AKW Die Ukraine probt den Ernstfall
Die Ukraine warnt vor einem russischen Anschlag auf das AKW in Saporischschja. Die Regierung führt Evakuierungsübungen durch, viele Menschen versuchen, sich auf den Ernstfall vorzubereiten.
Rettungskräfte in gelben Strahlenschutzanzügen überprüfen mit Dosimetern die Strahlungswerte an LKWs und Autos. An einem speziellen Waschplatz werden die Fahrzeuge anschließend dekontaminiert. In einem Krankenzelt vor einem Baumarkt in Saporischschja werden Verletzte behandelt. Auch hier tragen die Helfer Schutzmasken und gelbe Strahlenanzüge.
"Wir müssen vorbereitet sein"
Es ist nur eine Übung: Die Ukraine bereite sich auf den Ernstfall vor, erklärt Juri Malaschko, Leiter der Militärverwaltung in Saporischschja: "Wir haben alles so organisiert, dass die Menschen so gut wie möglich verstehen, was passiert. Dies ist nicht die erste und nicht die letzte Übung. Solange der Feind im AKW Saporischschja ist, müssen wir vorbereitet sein."
Viele Menschen in der Ukraine haben Angst vor einem radioaktiven Zwischenfall. Immer wieder warnte die ukrainische Regierung zuletzt vor einem möglichen Anschlag auf Europas größtes Atomkraftwerk, und das Innenministerium führt Evakuierungsübungen durch.
Die russischen Besatzungstruppen hätten das Kühlbecken der Anlage vermint und Gegenstände an den Dächern der Reaktoren angebracht, die Sprengsätzen ähneln, heißt es. Unabhängig bestätigen lassen sich diese Angaben allerdings nicht.
"Verbrannte-Erde-Taktik"
Dennoch gäbe es Grund zur Besorgnis, meint der Sicherheitsexperte Nico Lange: "Es spricht vieles dafür, dass Russland, wenn es unter Druck kommt, so eine Art verbrannte-Erde-Taktik fährt." Deswegen glaube er an die Gefahr, von der der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spreche.
Die Ukraine habe zudem schon vor Ereignissen gewarnt, die schließlich eingetreten sind - wie zum Beispiel der Zerstörung des Staudamms in Nowa Kachowka. "Und ich finde es gar nicht so einfach, da immer von gegenseitigen Beschuldigungen zu sprechen", sagt Lange - man wisse ja, dass "Russland eine Tendenz hat zu lügen".
Denn Russland behauptet wiederum, die Ukraine wolle das AKW angreifen - in Telegram-Chats wird vor Kamikaze-Drohnen und Raketen gewarnt. Das aber sei unrealistisch, meinen viele Experten. Die Reaktoren sind gut geschützt, insbesondere gegen äußere Einflüsse. Die Vorstellung von einem explodierenden Atomreaktor sei falsch, sagen Kenner der Anlage.
Reaktorsprengung unwahrscheinlich
Und auch die russischen Soldaten, die das AKW besetzt halten, würden wohl kaum den Reaktor an sich sprengen, meint die Expertin Olga Koscharna. Stattdessen könnten sie andere technische Maßnahmen ergreifen, um einen schweren Unfall zu verursachen.
So könnte etwa die Wasserversorgung gestört werden. "Und zwar nicht nur, um einen Kühlteich oder eine Sprinkleranlage in die Luft zu jagen, sondern auch Rohre oder Dampfleitungen. Jedes Atomkraftwerk ist ein sehr komplexes System", erklärt Koscharna.
Tschernobyl-Szenario nicht zu erwarten
Und so kaufen derzeit viele Menschen in der Ukraine Jodtabletten, obwohl die in der aktuellen Situation gar nicht helfen würden. Die Reaktoren befinden sich im kalten Shutdown - und Jod hilft nur bei einem Unfall mit laufenden Reaktoren.
Ein Tschernobyl-Szenario ist laut Experten nicht zu erwarten. Doch die Folgen eines möglichen Unfalls im AKW sind trotzdem schwer abzuschätzen.
Und so bereitet sich Olga Schejko aus Saporischschja bei der Übung auf einen möglichen Ernstfall vor: "Einige Lebensmittel und Wasser müssen vorbereitet werden. Wenn wirklich etwas passiert, Gott bewahre, dann müssen Fenster und Lüftungsöffnungen verschlossen werden. Es wurde auch gesagt, wo sich die Evakuierungspunkte befinden werden."