Durch russischen Angriff KZ-Überlebender in Charkiw getötet
Er war 96 Jahre alt und hat während der NS-Herrschaft mehrere Konzentrationslager überlebt - nun ist Boris Romantschenko bei einem russischen Bombenangriff in der ukrainischen Stadt Charkiw getötet worden.
Boris Romantschenko, ein Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald, ist nach Angaben der Gedenkstättenstiftung bei einem Bombenangriff in Charkiw getötet worden. Der 96-jährige sei bereits am Freitag durch einen Angriff auf sein mehrstöckiges Wohnhaus in der ostukrainischen Stadt ums Leben gekommen, sagte der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner. Wagner berief sich dabei auf Informationen eines langjährigen Vertrauten der Stiftung in Charkiw.
"Wir trauern um einen engen Freund", hieß es in einer Mitteilung der Gedenkstätte. Romantschenko habe während der NS-Herrschaft die Konzentrationslager Buchenwald, Peenemünde, Dora und Bergen-Belsen überlebt. Im Jahr 1942 sei er nach Dortmund verschleppt worden, wo er unter Tage Zwangsarbeit habe leisten müssen. Er habe versucht zu fliehen, sei aber aufgegriffen und im Oktober 1943 ins KZ Buchenwald gebracht worden. In Peenemünde habe er später auch an Raketen mitbauen müssen.
Engagement gegen das Vergessen
Romantschenko setzte sich später intensiv für die Erinnerung an die NS-Verbrechen ein. Er war Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und kam seit den 1990er-Jahren regelmäßig zu Veranstaltungen auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers bei Weimar, sagte Wagner.
Seine Wohnung in Charkiw habe Romantschenko seit Monaten nicht verlassen - aus Angst, sich mit Corona zu infizieren. Am Freitag habe ein Geschoss das Gebäude getroffen. Romantschenkos Wohnung sei ausgebrannt. "Der entsetzliche Tod von Boris Romantschenko zeigt, wie bedrohlich der Krieg in der Ukraine auch für die KZ-Überlebenden ist", hieß es in der Mitteilung weiter.
Entsetzen über Tod
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat mit Erschütterung auf den Tod Romantschenkos reagiert. "Das macht mich fassungslos. Sein Tod lässt mich entsetzt zurück. Die Nationalsozialisten haben es nicht geschafft, diesen großen Menschen zu brechen, ihn zu töten - sehr wohl aber das System Putin mit seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine", erklärte Ramelow in Erfurt. Das ehemalige KZ Buchenwald liegt bei Weimar in Thüringen.
Sorge um Holocaust-Überlebende
Schon länger sorgen sich die Betreiber der Gedenkstätten um die sehr alten Holocaust-Überlebenden, die jetzt noch in der Ukraine leben. Mehr als 30 Gedenkstätten haben deshalb ein Hilfsnetzwerk für ehemalige NS-Verfolgte in der Ukraine gegründet. Gedenkstättenleiter Wagner hatte sich schon zu Beginn des Krieges in der Ukraine besorgt um die dort lebenden KZ-Überlebenden gezeigt. Es sei "besonders tragisch für die ukrainischen KZ-Überlebenden, die mit den russischen Häftlingen in den Lagern gelitten haben, und die nun im Luftschutzkeller sitzen und von russischen Bomben mit dem Leben bedroht werden", sagte Wagner.
Auch der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten (SBG), Axel Drecoll, ist besorgt. Viele Holocaust-Überlebende sollten zum Jahrestag der Befreiung von der Nazi-Herrschaft am 1. Mai vor 77 Jahren in die Gedenkstätten eingeladen werden, sagte der Leiter der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen in Potsdam. Stattdessen müssten sie "sich nun vor den russischen Bomben und Raketen verbergen und um ihr Leben fürchten."