Möglicher Tod Prigoschins Baerbock warnt vor Spekulationen
Deutsche Politiker haben sich nach dem möglichen Tod von Wagner-Chef Prigoschin wenig überrascht gezeigt. Außenministerin Baerbock warnte vor vorschnellen Schlüssen. Vertreter von FDP und Union sehen die Verantwortung bei Russlands Präsident Putin.
Nach dem Absturz des Flugzeugs, bei dem der Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin an Bord gewesen sein soll, hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock vor Spekulationen gewarnt. Der Flugzeugabsturz sei erst einige Stunden her, deswegen könne man "keine schnellen Schlüsse ziehen", sagte die Grünen-Politikerin im Deutschlandfunk.
Der Vorfall unterstreiche aber, "dass ein System, dass eine Macht, dass eine Diktatur, die auf Gewalt gebaut ist, dass sie eben auch intern nur Gewalt kennt". Das habe man "auf traurige, dramatische Art und Weise in den Vorjahren schon gesehen, wo Oppositionelle, wo Journalisten, wo einfache Menschen aus dem Fenster gefallen sind oder vergiftet worden sind".
Kiesewetter: "Eine Frage der Zeit"
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), sieht einen klaren Zusammenhang mit dem Putsch-Versuch Prigoschins im Juni. Es sei davon auszugehen gewesen, dass Prigoschin seinen Angriff auf Putin mit dem Leben bezahlen würde, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter vermutet, dass Russlands Präsident Wladimir Putin den Tod des Wagner-Chefs beauftragt hat. Es sei eine Frage der Zeit gewesen, so Kiesewetter im Gespräch mit den tagesthemen. Dass es aber bereits nach zwei Monaten der Fall sei, sei eine klare Botschaft an alle, die an Putin zweifeln.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sieht Putin allerdings geschwächt. "Entweder Putin oder Prigoschin - das blieb die Lage auch nach dem abgesagten Putsch", sagte er dem RND. "Ob die von Putin enthauptete Wagner-Gruppe sich nun erst recht zur Rebellion formiert oder sich führungslos fügt, ist eine offene Frage." Putins Machtsystem aber habe Risse bekommen, und das könne er nicht mehr stoppen.
Biden "nicht überrascht"
US-Präsident Joe Biden hatte ebenfalls erklärt, dass er vom Tod Prigoschins nicht überrascht sei. Eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats der USA, Adrienne Watson, sagte, wenn die Berichte "sich bestätigen, sollte niemand überrascht sein".
Die im Exil lebende belarusische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja schrieb im Onlinedienst X (vormals Twitter), den "Verbrecher Prigoschin" werde in Belarus "niemand vermissen". Er sei "ein Mörder" gewesen und "sollte als solcher in Erinnerung bleiben". Zudem werde "sein Tod" womöglich "die Präsenz der Wagner-Gruppe in Belarus auflösen und die Bedrohung für unser Land und unsere Nachbarn verringern".
"Putin verzeiht niemandem seine eigene Angst"
Auch für den Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, war der aus Russland gemeldete Tod Prigoschins seit dessen Meuterei gegen den Kreml im Juni absehbar. "Prigoschin hat in dem Moment, als er 200 Kilometer vor Moskau stehen blieb, sein eigenes Todesurteil unterschrieben", sagte Podoljak der "Bild"-Zeitung am Abend.
"Der Aufstand von Prigoschin im Juni hat Putin wirklich erschreckt" und habe absehbar zu Konsequenzen führen müssen, denn: "Putin verzeiht niemandem seine eigene Angst."
Sollte sich die These bestätigen, dass der Absturz des Flugzeugs mit Prigoschin an Bord auf ein Mordkomplott zurückgehe, handele es sich um eine "demonstrative Beseitigung" und "ein direktes Signal an die Eliten (...), dass die brutalen Morde an den 'eigenen Leuten' in Russland beginnen". Damit hätte Moskau aus Sicht Podoljaks auch ein Signal an die eigene Armee gesendet, "dass es dort wirklich keine Helden gibt und dass jede Illoyalität mit dem Tod bestraft wird".
Expertin: Kein öffentlicher Aufschrei in Sicht
Der mögliche Tod Prigoschins werde in Russland aber keinen öffentlichen Aufschrei auslösen, glaubt die Politologin Tatiana Stanovaya vom Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin. Seine Unterstützer hätten Angst, schrieb Stanovaya auf Telegram. "Egal, was den Flugzeugabsturz verursacht hat, jeder wird ihn als einen Akt der Rache und Vergeltung" des Kremls ansehen, so Stanovaya.
Prigoschins Tod sei aus Sicht von Präsident Putin "eine Lehre für alle potenziellen Nachahmer". Stanovaya zufolge war Prigoschin seit seiner Meuterei "nicht mehr der Partner der Behörden", es habe für ihn keinen Weg zurückgegeben. "Ihm wurde nicht verziehen", schrieb die Russland-Expertin. "Prigoschin wurde nach der Meuterei noch einige Zeit gebraucht, um die Demontage von Wagner in Russland schmerzlos zu vollenden", so Stanovaya. Prigoschin sei jedoch eine Bedrohung für den Kreml gewesen - "die Verkörperung von Putins politischer Demütigung".