Nach Wagner-Aufstand Viele Ungereimtheiten im Fall Prigoschin
Vor drei Wochen ließ der Wagner-Chef seine Kämpfer bis kurz vor Moskau marschieren. Seitdem reiht sich in der Causa Prigoschin mit jeder offiziellen Aussage ein Widerspruch an den nächsten.
Es ist nicht die einzige Aussage der vergangenen Wochen, die seltsam anmutet: Nach all den Diskussionen über die Rolle und Zukunft der Wagner-Truppe erklärt der russische Präsident nun schlicht, dass diese gar nicht existiere. Schließlich gebe es in Russland kein Gesetz über private Militärorganisationen.
Privatarmeen sind, wenn man es genau nimmt, nicht nur nicht erlaubt, sondern explizit verboten. Auf Söldnertum stehen lange Haftstrafen. Das aber hat zuletzt niemanden interessiert. Vor allem nicht die russische Führung.
Vielmehr wurde die nicht existierende, eigentlich auch verbotene, Privatarmee des langjährigen Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoschin, komplett aus dem russischen Staatshaushalt finanziert. Wie der russische Präsident nach dem bewaffneten Marsch auf Moskau für viele überraschend öffentlich erklärte: "Allein von Mai 2022 bis zum Mai 2023 hat der Staat 86,262 Milliarden Rubel an Wagner gezahlt."
Woher die Munition?
Das sind rund 900 Millionen Euro. Ein Großteil, so Wladimir Putin, sei für Gehälter ausgegeben worden. Aber auch um die Bewaffnung der Privatarmee kümmerte sich der russische Staat. Die Wagner-Kämpfer, bestätigte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, hätten in dieser Woche große Mengen an Waffen zurückgegeben: "Panzer vom Typ T-90, T-80, T-72B3, Raketenwerfer vom Typ Grad und Uragan, Luftabwehrkomplexe, Geschütze, Haubitzen und Panzerabwehrkanonen, Mörser, gepanzerte Mehrzweckschlepper und Schützenpanzer, Kraftfahrzeuge und Schusswaffen."
Darüber hinaus, so Konaschenkow, seien auch über 2500 Tonnen Munition zurückgegeben worden. Und das, obwohl Prigoschin über Wochen mit drastischen Worten beklagt hatte, dass seinen Kämpfern bewusst Munition vom Verteidigungsministerium vorenthalten worden sei. Eine weitere Ungereimtheit neben vielen anderen.
Weiter Geschäfte mit dem Staat?
Dazu gehört auch, dass Prigoschin entgegen erster anderslautender Meldungen scheinbar doch weiter Geschäfte mit dem russischen Staat macht: und zwar mit Hilfe seiner Catering-Firmen, die Schulen, Kindergärten, aber auch die regulären Streitkräfte mit Essen beliefern. Mehr als 830 Millionen Euro habe Prigoschin zuletzt allein durch die Versorgung der Armee verdient, so der russische Präsident: "Ich hoffe, dass niemand im Laufe der Zeit etwas von diesen Leistungen gestohlen hat. Oder, sagen wir mal so, nicht allzu viel gestohlen hat. Aber natürlich werden wir das klären."
Ein dezenter Hinweis, dass auch Prigoschin nicht generell vor Strafverfolgung gefeit ist. Dass er aber anders als andere, die von Putin als Volks- und Vaterlandsverräter gebrandmarkt wurden, eine Sonderrolle spielt, lässt sich daran ablesen, dass er wenige Tage nach dem abgebrochenen Marsch auf Moskau zu Gast beim russischen Präsidenten war, wie Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow inzwischen bestätigt hat: "Er hat 35 Personen eingeladen, alle Wagner-Kommandeure und die Führung des Unternehmens, also auch Prigoschin. Dieses Treffen hat fast drei Stunden gedauert."
Edelmetalle und Diamanten aus dem Nahen Osten und Afrika
Die Gespräche sollen sich unter anderem um eine mögliche Weiterbeschäftigung der Wagner-Kämpfer gedreht haben. Dabei ging es vermutlich nicht nur um den Ukraine-Krieg und um die Ausbildung belarusischer Streitkräfte, die nach offiziellen Angaben inzwischen begonnen haben soll, sondern auch um die Einsätze der Kämpfer im Nahen Osten und in Afrika.
Prigoschins Firmen sollen in vielen dieser Länder lukrative Geschäfte machen - mit Öl, Diamanten, Gold und seltenen Metallen. Der Korrespondent der Nowaja Gazeta, Irek Murtazin, schätzt allein den Wert der kontrollierten Edelmetalle und Diamanten auf mindestens 100 Milliarden Dollar. Ein Vermögen, das, so wird spekuliert, von Prigoschin verwaltet werde: für einen kleinen einflussreichen Kreis, dem er selbst angehöre.
Dass es also um weit mehr als um das Schicksal von "Putins Koch" geht, dessen sind sich viele Beobachter angesichts der vielen Widersprüche und Kehrtwenden von höchster offizieller Stelle inzwischen sicher. Die Causa Prigoschin wirkt offensichtlich tief hinein in Putins Machtsystem.