Russisches Territorium Prigoschin spricht von Vormarsch auf Rostow
Wagner-Söldner sind nach Angaben ihres Chefs Prigoschin auf russisches Staatsgebiet einmarschiert und sollen in die Stadt Rostow vorgerückt sein. Jeder, der sich seiner Armee in den Weg stelle, werde vernichtet, drohte Prigoschin.
Der seit Monaten schwelende Konflikt zwischen dem russischen Söldnerführer Jewgeni Prigoschin und der Militärführung im Kreml ist eskaliert: Kämpfer von Prigoschins Söldnertruppe Wagner haben nach dessen Worten die Grenze von der Ukraine nach Russland überquert.
Seine Kämpfer seien in die Region Rostow im Süden Russlands einmarschiert, sagte Prigoschin. In der gleichnamigen Stadt am Don sollen seine Kämpfer sämtliche militärischen Einrichtungen übernommen haben. Beweise für seine Angaben legte Prigoschin nicht vor, die Nachrichtenagentur AFP konnte ihren Wahrheitsgehalt zunächst nicht überprüfen.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Nationalgarde vor der Stadt
Örtliche Medien berichteten in Rostow am Don, dass dort bereits seit langer Zeit eine Basis der Privatarmee Wagner in Betrieb sei. Die Söldner seien also schon da. In den russischen sozialen Netzwerken gab es zunächst keine Anzeichen, dass Wagner-Truppen tatsächlich Rostow eingenommen haben. Videos zeigten schwere Lastwagen, die die Zufahrtsstraßen zur Stadt blockierten. Lange Konvois von Lastwagen der Nationalgarde waren außerhalb der Stadt zu sehen, gepanzerte Fahrzeuge fuhren durch die Straßen.
Der dortige Gouverneur teilte nicht mit, ob Prigoschin angekommen sei, aber er rief die Einwohner dazu auf, in ihren Häusern zu bleiben. In Rostow befindet sich das russische Militärhauptquartier für die südliche Region, dort werden auch die Kämpfe in der Ukraine überwacht.
Prigoschin: Werden bis zum Ende kämpfen
Prigoschin selber sagte, die Wagner-Truppen seien von Grenzsoldaten begrüßt worden, als sie in die Nähe der Stadt eingerückt seien, und würden nun nach Rostow fahren. Die Wagner-Soldaten seien an den Kontrollpunkten auf junge Wehrpflichtige getroffen, die keinen Widerstand geleistet hätten. Er fügte hinzu, dass seine Streitkräfte "nicht gegen Kinder kämpfen". "Aber wir werden jeden vernichten, der sich uns in den Weg stellt", sagte er. "Wir rücken vor und werden bis zum Ende kämpfen."
Mit Blick auf die gegen ihn eingeleiteten Ermittlungen und seine drohende Festnahme, sagte Prigoschin, dass seine Truppe eine Brüderschaft verbinde. Sie seien keine Verräter.
FSB ruft Söldner zur Festnahme auf
Prigoschin hatte am Freitagabend Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu beschuldigt, Raketenangriffe auf seine Truppen im Hinterland angeordnet zu haben, bei denen zahlreiche Wagner-Söldner getötet worden seien. Der Chef des russischen Generalstabs, Valery Gerasimow, habe den Start der Kampfflugzeuge befohlen. Von offizieller russischer Seite gab es dazu keine Angaben.
Der Wagner-Chef drohte mit Gegenmaßnahmen und rief die Russen dazu auf, sich gegen die Armeeführung aufzulehnen. Er bezeichnete sowohl Schoigu als auch Gerasimow als "Abschaum", der beseitigt werden müsse. Gleichzeitig betonte Prigoschin, dass er nicht zum "Militärputsch" aufgerufen habe und sich auch nicht gegen den Präsidenten Wladimir Putin stellen wolle. Nach dem "Marsch der Gerechtigkeit" gegen den Verteidigungsminister und den Generalstabschef würden seine Truppen wieder an die Front zurückkehren.
Prigoschin droht Festnahme und mehrjährige Haft
Die russische Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen "bewaffneten Aufstands" auf. Dem 61-Jährigen drohen laut Generalstaatsanwaltschaft zwischen 12 und 20 Jahren Freiheitsstrafe. Er wird vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB gesucht.
Prigoschin habe zum Kampf gegen Moskaus Militärführung aufgerufen, hieß es vom Nationalen Anti-Terror-Komitee, dem neben dem FSB praktisch auch alle anderen russischen Sicherheitsorgane angehören. Der FSB rief in der Folge die Wagner-Truppen auf, die "kriminellen" und "verräterischen" Befehle Prigoschins nicht zu erfüllen und Schritte für seine Festnahme zu ergreifen.
Chef der Söldnertruppe Wagner: Russischer Inlandsgeheimdienst FSB ruft zur Festnahme Prigoschins auf
Schützenpanzer vor der Duma
Das russische Staatsfernsehen strahlte in der Nacht eine Sondernachrichtensendung aus, in der darüber informiert wurde, dass Prigoschin in Ungnade gefallen sei und festgenommen werden solle. Die Rede in der Sendung war von einer "Provokation" Prigoschins zum Nutzen der Ukraine.
Im Zuge der Konfrontation schlug sich der wichtige russische Armeegeneral Sergej Surowikin auf die Seite des Machtapparats in Moskau. Surowikin, der Vizechef des russischen Generalstabs ist, rief Prigoschin in einer Videobotschaft dazu auf, den Machtkampf zu beenden. Surowikin gilt eigentlich als Verbündeter Prigoschins, entschied sich aber allem Anschein nach zur Loyalität dem Kreml gegenüber.
In der russischen Hauptstadt wurden Staatsmedien zufolge alle wichtigen Einrichtungen unter besondere Kontrolle genommen. Zuvor waren Videos im Netz aufgetaucht, auf denen ein Schützenpanzer und ein gepanzerter Militärlaster vor dem russischen Parlament, der Staatsduma, entlang fahren. Laut der Nachrichtenagentur AP wurden vor dem Verteidigungsministerium Soldaten mit Sturmgewehren postiert. Rund um die Präsidialverwaltung nahe des Roten Platzes im Zentrum von Moskau seien Straßen abgesperrt worden, wodurch der Verkehr zum Erliegen gekommen sei.
USA wollen sich mit Partnern abstimmen
Die US-Regierung beobachtete die Entwicklungen nach Angaben eines Sprechers aufmerksam. "Wir verfolgen die Lage und werden uns mit Alliierten und Partnern über diese Entwicklungen abstimmen", sagte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats. Präsident Joe Biden sei informiert. Die rivalisierenden russischen Truppen seien dabei, "sich im Kampf um Macht und Geld gegenseitig zu zerfleischen", kommentierte der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow.