Wählerinnen und Wähler in Warschau
reportage

Polen wählt neues Parlament Ein gespaltetes Land hat die Wahl

Stand: 15.10.2023 16:20 Uhr

Bei der Parlamentswahl in Polen zeichnet sich eine rege Beteiligung ab. Die Abstimmung ist auch eine Grundsatzentscheidung über die Zukunft des Landes. Eine Reportage aus einem gespaltenen Land.

Überall in Warschau trifft man am Vormittag Menschen auf dem Weg zu den Wahllokalen. Der öffentliche Nahverkehr ist heute kostenlos, selbst E-Scooter-Betreiber bieten Freifahrten an. Bis 12 Uhr liegt die Wahlbeteiligung mit 22,59 Prozent, fast viereinhalb Prozent über dem Vergleichswert bei der Wahl 2019.

Kristin Joachim, ARD Warschau, mit einer ersten Einschätzung zur Wahl in Polen

tagesschau, 15.10.2023 20:00 Uhr

Für die Wahl aus Manchester angereist

Vor allem die Wahlbüros im Ausland haben in den vergangenen Tagen Rekorde bei den Wahlanmeldungen verzeichnet. Katarzyna und Bogdan stehen vor einem Wahllokal im Warschauer Stadtteil Ursynów. Sie sind extra aus Manchester in England angereist, erzählen sie - um die PiS abzuwählen

"Wir haben Polen 1992 verlassen. Damals war Polen ein Niemand. Jahrelang waren wir dann stolz darauf, was hier passierte, denn das Land hat sich entwickelt, war vorhersehbar, gut organisiert und immer europäisch. Aber diese Regierung treibt uns zurück in eine Welt, die wir nicht wollen, denn dort waren wir schon", sagt Bogdan. Katarzyna ergänzt, sie wünsche sich, dass Polen wieder zu einem Land der glücklichen Menschen wird.

Die polnischen Regierung hatte im Vorfeld der Wahlen vielen Auslandspolen das Wählen schwer gemacht. Die Auszählungen wurden verkompliziert. Schafft es ein Wahllokal aber nicht, alle abgegebenen Stimmen innerhalb der 24-Stunden-Frist auszuzählen, verfallen sie - alle. Also reisen viele doch lieber nach Polen, um sicher zu gehen, dass ihre Stimme auch wirklich zählt.

Hoffnung auf ein "offeneres, toleranteres Polen"

Maja musste nicht so weit anreisen. Sie wohnt um die Ecke: "Das sind die ersten Wahlen, an denen ich teilnehmen darf. Ich bin gerade 18 geworden und freue mich, dass ich an Polens Veränderung teilnehmen kann." Sie hoffe, dass sie morgen in einem "besseren, offenen, toleranten Polen für alle" aufwache.

Warschau ist für die PiS traditionell hartes Terrain, sagen viele hier. Im Warschauer Vorort Halinów sieht die Welt schon anders aus. "Diese Wahlen sind sehr wichtig, weil die Entwicklungen der letzten Jahre für mich und meine Familie sehr gut waren", sagt Dorota. Deshalb hoffe sie, dass alle, "auch die jungen Leute, eine verantwortungsvolle Wahl treffen".

Mobilisierung mit allen Mitteln

Gerade auf dem Land hat die PiS mobilisiert, so gut es ging. Unter anderem mit der Idee, parallel zur Parlamentswahl ein Referendum abzuhalten: vier Suggestivfragen zu Migration, Grenzschutz, Rentenalter und ausländischen Investitionen, die zwar politisch nicht zur Debatte stehen, aber für Stimmung sorgen.

In Warschau sind deshalb viele dem Aufruf der Opposition gefolgt und haben das Referendum boykottiert. "Das nützt niemandem. Das ist nur ein Trick, um Geld auszugeben", sagt Małgorzata. Das Referendum wird aus der Staatshaushalt finanziert, nicht aus dem Wahlkampfbudget der PiS. Dabei sei es doch eindeutig ein Wahlkampfmanöver, meint auch Piotr. "Die Fragen im Referendum sind tendenziös und sinnlos."

Gewählt werden kann bis 21 Uhr. Dann kommt auch eine Prognose - und damit ein Hinweis darauf, in welche Richtung das Land steuert.

 

Martin Adam, ARD Warschau, tagesschau, 15.10.2023 17:16 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 15. Oktober 2023 um 16:00 Uhr.