Missbrauchsskandal Polens katholische Säulen wanken
In Polen hat die katholische Kirche einen hohen Stellenwert - unantastbar ist sie aber längst nicht mehr. Eine Reportage greift nun den ehemaligen Privatsekretär von Papst Johannes Paul II. wegen mutmaßlicher Vertuschung und Bestechung an.
Kardinal Stansilaw Dziwisz, dem jetzt eine Reportage abermals die Vertuschung von Missbrauch in der katholischen Kirche im großen Stil und sogar Bestechlichkeit vorwirft, ist in Polen nicht irgendwer: Er war der langjährige Privatsekretär von Papst Johannes Paul II. und nicht zuletzt deswegen gilt er als lebende Legende. Inzwischen rückt aber sogar das polnische Episkopat von dem 81-Jährigen ab. Gleichzeitig rückt eine Frage immer näher: Was wusste Johannes Paul selbst?
Dziwisz war als Privatsekretär Ohr und Auge des Papstes. Bis zum Schluss sah man ihn stets in der Nähe des Pontifex. Und so steht der ehemalige Erzbischof von Krakau auch ein bisschen für den verstorbenen, in Polen hochverehrten Papst selbst. Vorwürfe, dass der populäre Kardinal pädophile Täter gedeckt habe, werfen somit unweigerlich auch Schatten auf Johannes Paul.
"Die Büchse der Pandora wird geöffnet"
"Wir sehen, wie vor unseren Augen der sogenannte 'Kulturkatholizismus' zusammenbricht", sagt der Theologe Jacek Prusak vom Krakauer Jesuiten-Kolleg "Ignatianum". "Johannes Paul II. gibt es nicht mehr, wohl aber die Probleme, die wir nach ihm übernommen haben und die wir mit ihm verdeckt haben, weil wir vor uns selbst flüchteten." Es werde jetzt die "Büchse der Pandora" geöffnet, erklärt Prusak weiter, später als in anderen Kirchen der Welt, aber man müsse sich darauf vorbereiten, dass es wehtun werde.
Mit immer neuen Vorwürfen sexueller Verbrechen hält das Missbrauchs-Thema das stark katholische geprägte Polen seit Jahren in Atem. Enthüllungsfilme wie die millionfach angeclickte Web-Doku "Aber sag es nur keinem" zeigten nicht nur die Verbrechen und das Leid der Opfer, sondern ebenso, wie Kirchenobere kriminelle Priester decken oder einfach in andere Gemeinden versetzen. Auch Dziwisz wird das nun vorgeworfen. Auf höchster Ebene soll er Informationen ignoriert und Täter gedeckt haben. Dabei belasten ihn neben Opfern und ihren Anwälten auch Kicheninsider und frühere Täter selbst.
Die Reaktionen erschüttern
Der Film zeigt auch, wie sich der Kardinal einem Interview immer wieder entzieht. Irgendwann meldet er sich per Telefon und versucht, den Reporter zu stoppen - auch mit Drohungen:
Ich bin ein Mensch, der der Kirche, Polen und dem Papst diente. Und jetzt diese Anschuldigungen, um Gottes Willen. Wenn Sie wüssten, wie die Sache aussieht, würden Sie sich nie dahinter klemmen.
Journalisten sind entsetzt. "Als ich den Film gesehen habe, hat mich am meisten die Reaktion des Kardinals auf die Vorwürfe erschüttert - 'ich, der so viele Jahre Johannes Paul gewidmet habe'", sagt Artur Sporniak von der katholischen Kultur- und Religionszeitung "Tygodnik Powszechny". Dziwisz habe offenbar nicht begreifen können, dass er den gleichen Rechten und Grundsätzen unterliege wie alle anderen, erklärt Sporniak, dass es keine Ausnahmen gebe.
Die polnische Kirchenspitze verlangt nun öffentlich eine Klärung der Vorwürfe durch eine Kommission im Vatikan. Doch Papier ist geduldig. Im jetzt veröffentlichten Bericht über Versäumnisse im Missbrauchsskandal um den früheren US-Erzbischof Theodore McCarrick fällt der Name Dziwisz 45mal, zählten polnische Journalisten. Laut der Reportage soll sogar Schmiergeld geflossen sein. Der US-Geistliche hatte unter Johannes Paul II. und seinem Sekretär Dziwisz Karriere gemacht, obwohl es bereits Missbrauchs-Hinweise gab.
Die Kirche gerät immer mehr in die Defensive
Was im heutigen Polen die Stimmung zusätzlich vergiftet ist der Eindruck, dass die weltliche Justiz unter der kirchenfreundlichen PiS-Regierung tatverdächtigen Geistlichen nur selten nachspürt. Die Linken-Abgeordnete im polnischen Parlament, Joanna Scheuring-Wielgus, etwa kritisiert: "Warum werden im polnischen Staat Menschen verfolgt, die etwas an Kirchenmauern geschrieben haben, und Verbrecher in Soutanen, die Priester verstecken und von einer Pfarrei in die nächste versetzen, laufen frei und unbestraft herum?"
Proteste gab es am Dienstagabend vor Dziwisz' Privathaus und der Krakauer Kurie. Die anhaltenden Frauendemonstrationen gegen das strengere Abtreibungsrecht sorgten ohnehin dafür, dass die Kirche in die Defensive geraten ist. In Danzig wurde das Denkmal des Priesters Henryk Jankowskis abgebaut - legendärer "Prälat der Solidarnosc" - nachdem auch ihm sexuelle Übergriffe nachgesagt wurden. Dieser Tage ließ Rom dem hochbetagten Kardinal Henryk Gulbinowicz die Bischofsinsignien abnehmen. Anders als üblich wird er nicht im Breslauer Dom die letzte Ruhe finden - von dessen Dächern die Spatzen pfeifen, dass es auch hier um Missbrauch geht. Mit dem 81-jährigen Dziwisz wackelt eine der kirchlichen Säulen aus der Zeit von Johannes Pauls II..Der polnische Papst selbst aber steht noch - unzählige Denkmäler im ganzen Land zeigen ihn.