Proteste gegen Abtreibungsverbot "Hier ist Polen, nicht der Vatikan"
In Polen halten die landesweiten Proteste gegen das Abtreibungsverbot an. Sie richten sich nicht nur gegen die konservative Regierungspartei PiS, sondern auch gegen die katholische Kirche.
Von Jan Pallokat, ARD-Studio Warschau
"Hier ist Polen, nicht der Vatikan", rufen vornehmlich Frauen einem Priester im nordwestpolnischen Szczecinek zu, der offenbar zufällig in die Protestaktion der Gruppe "Frauenstreik" geraten und den Tränen nahe ist. "Hau ab in deine Kirche", rufen sie. Der Geistliche versucht in diesem im Internet verbreiteten Video verzweifelt wie erfolglos, Gehör zu finden.
Polen ist in Aufruhr seit einem umstrittenen Gerichtsurteil, mit dem das ohnehin rigide Abtreibungsrecht zu einem Quasi-Totalverbot ausgeweitet wird - genau dafür setzte sich die Kirche seit Jahren ein. Doch nun am Ziel, ist sie plötzlich Anfeindungen ausgesetzt, wie sie in dem katholisch geprägten Land bislang unvorstellbar waren.
Applaus für erzkonservativen Bischof
Aber es gibt auch Applaus für die Haltung der Kirche in der Abtreibungsfrage, etwa bei einer Messe des besonders konservativen Krakauer Erzbischofs Marek Jedraszewski. Er hatte das Urteil kommentiert, kaum das es gefallen war: "Vor einer Stunde hat Frau Julia Przylebska, die Vorsitzende des Verfassungsgerichts, ein Urteil gefällt, das wir seit langem erwartet haben. Es lautet: Die Abtreibung stark geschädigter oder unheilbar kranker Föten ist verfassungswidrig."
Beifall und Zorn: Die Kirche gerät in eine Zerreißprobe und mit ihr das ganze Land. Denn ein sogenannter Abtreibungskompromiss, der 1993 geschmiedet worden war, hielt all die Jahre ein Reizthema raus aus dem politischen Streit. Seither hat Polen eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas, aber eben doch mit Hintertüren. Vor allem sind im Fall schwerer Missbildungen sind Abbrüche seither ausnahmsweise möglich. Nun fehlt nur noch die formale Veröffentlichung des Richterspruchs im Amtsblatt, um das de facto Abtreibungsverbot in Kraft zu setzen.
Ungeahnte Empörung
Schon ist von "Bürgerkrieg" die Rede: Ex-Premierminister Donald Tusk sprach davon genauso wie die im Land bekannte Linken-Politikerin Barbara Nowacka. Das muss man nicht wörtlich nehmen, in der öffentlichen Diskussion in Polen ist die Sprache oft martialisch. Doch welche Empörung das Urteil bei vielen Frauen und sympathisierenden Männern ausgelöst hat, konnte auch vielen Gläubigen am gestrigen Sonntag nicht verborgen bleiben.
Landesweit wurden Kirchen beschmiert und Geistliche beschimpft, und die Tausende Menschen umfassenden Demonstrationszüge, die sich im ganzen Land wegen des Corona-bedingten Versammlungsverbots eher spontan bilden, ziehen eben nicht nur zu Büros der regierenden PiS-Partei oder zum Haus des Parteichefs Jaroslaw Kaczynski, sondern auch zur Kurie und den örtlichen Dienstsitzen der Bischöfe. Sicherheitshalber werden diese Orte teilweise von der Polizei bewacht.
Vor allem junge Frauen sind sehr wütend über das Verbot - und rufen zu entschlossenem Protest auf.
Frauen rufen zu Protesten in Kirchen auf
"Gegen die polnischen Frauen werden sie nicht gewinnen", erklärte die linke Parlamentsabgeordnete Joanna Scheuring-Wielgus an die Adresse Kaczynskis. Sie erinnert daran, dass Anträge, das Abtreibungsrecht auf parlamentarischem, Wege zu verschärfen, nach landesweiten Frauenprotesten 2016 in den Ausschüssen verschwanden und von der PiS-Mehrheit im Parlament nie wieder aufgerufen wurden. "Wir haben es heute mit einem Feigling zu tun. Kaczynski war 2016 überrascht von den Frauenprotesten. Jetzt nutzt er zynisch die Pandemie-Situation und setzt das Thema Abtreibung auf die Agenda."
Generalstreik geplant
Scheuring-Wielgus protestierte auch in einer Kirche. Gemeinsam mit ihrem Mann hielt sie da, wo beide getraut worden waren, mitten im Gottesdienst Protestplakate in die Höhe. Die Gruppe "Frauenstreik" ruft ausdrücklich zu Protesten auch in Gotteshäusern auf, obwohl in Polen auf Verletzung religiöser Gefühle bis zu zwei Jahre Haft stehen.
"Frauenstreik", die wohl mobilisierungsstärkste Oppositionsgruppe Polens, ruft für heute zur Blockade von Verkehrsknotenpunkten auf, und für Mittwoch zu einem Generalstreik der polnischen Frauen.