Polens Regierungschef Tusk sieht Solidarität mit Israel auf "harter Probe"
Unter den Toten des israelischen Luftangriffs auf Gaza war auch ein Pole, der für die Hilfsorganisation WCK tätig war. Der Fall sorgt in Polen für heftige Diskussionen - und zu Spannungen mit der israelischen Regierung.
Die polnische Regierung hat ihren Ton gegenüber Israel nach dem Tod eines polnischen Mitarbeiters der Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) bei einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen verschärft.
Ministerpräsident Donald Tusk kritisierte die Reaktion seines israelischen Amtskollegen Benjamin Netanyahu auf den Vorfall sowie eine Äußerung des Botschafters Jakov Livne.
"Herr Premierminister Netanyahu, Herr Botschafter Livne, die überwiegende Mehrheit der Polen hat sich nach dem Angriff der Hamas mit Israel solidarisch gezeigt. Heute stellen Sie diese Solidarität auf eine harte Probe. Der tragische Angriff auf die Freiwilligen und Ihre Reaktion wecken verständliche Wut", schrieb Tusk auf der Plattform X.
Netanyahu spricht von "tragischem Fall"
Am Dienstag waren bei einem Luftangriff der israelischen Armee sieben Mitarbeiter von World Central Kitchen ums Leben gekommen, darunter ein polnischer Staatsbürger. Netanyahu hatte in einer Videobotschaft gesagt, Israel sei für den Luftangriff verantwortlich. Er sprach von einem "tragischen Fall eines unabsichtlichen Treffers unserer Streitkräfte gegen Unschuldige im Gazastreifen" und teilte mit, so etwas passiere im Krieg.
Der israelische Botschafter Jakov Livne wiederum löste in Polen nach dem Tod des Freiwilligen mit Antisemitismus-Vorwürfen eine Welle der Empörung ausgelöst. Livne bezog sich dabei auf einen Post des polnischen Oppositionspolitikers Krzysztof Bosak von der rechtsradikalen Konfederacja auf der Plattform X.
Bosak hatte darauf hingewiesen, dass der von Israel angegriffene Konvoi als humanitäre Hilfe gekennzeichnet war. "Offenbar ist es das Ziel der israelischen Führung, humanitäre Organisationen zu terrorisieren und die Hungersnot unter den Palästinensern zu vergrößern", schrieb Bosak. "Das hat einen Namen: Kriegsverbrechen."
In seiner Reaktion schrieb Livne, Bosak weigere sich bis heute, die Massaker vom 7. Oktober zu verurteilen. Auch habe sein Parteikollege Grzegorz Braun einen Chanukka-Leuchter im polnischen Parlament mit dem Feuerlöscher gelöscht. "Fazit: Antisemiten bleiben immer Antisemiten, und Israel bleibt ein demokratischer jüdischer Staat, der für sein Existenzrecht kämpft", so Livne.
Biden "empört und untröstlich"
Weltweit hatte der Fall der getöteten Mitarbeiter der Hilfsorganisation für Empörung gesorgt. US-Präsident Joe Biden übte ungewöhnlich deutlich Kritik an Israel. Das Land tue nicht genug zum Schutz von Helfern, die versuchten, Zivilisten mit dringend benötigter Hilfe zu versorgen, sagte Biden. Über den Tod der sechs ausländischen Mitarbeiter der Hilfsorganisation und ihres palästinensischen Fahrers sei er "empört und untröstlich", so der US-Präsident.
"Vorfälle wie die gestern dürfen einfach nicht passieren", sagte Biden außerdem. "Die USA haben Israel wiederholt aufgefordert, seine Militäroperationen gegen die Hamas mit humanitären Maßnahmen zu koppeln, um zivile Opfer zu vermeiden."
In der Erklärung forderte Biden zudem, die israelische Untersuchung des Angriffs müsse schnell erfolgen. Die Ergebnisse müssten veröffentlicht werden.
Hilfsorganisationen ziehen Konsequenzen
Neben WCK setzten weitere Hilfsorganisationen ihre Aktivitäten im Gazastreifen aus. Die Gruppe Anera kündigte den "beispiellosen Schritt" an, ihren humanitären Einsatz zu pausieren. Anera ist eine Partnerorganisation von WCK.
Auch Project Hope, eine in den USA gegründete Gruppe mit Fokus auf medizinischer Hilfe, gab an, dass es seine Arbeit im Gazastreifen aussetze. Das International Medical Corps, das in Rafah eine der größten Feldlazarette mit 140 Betten betreibt, kündigte zudem an, "unser Prozedere zu überdenken". Auf den Prüfstand sollen demnach unter anderem Pläne kommen, ein weiteres Feldkrankenhaus in Deir al-Balah zu errichten.