Nachfolge von Stoltenberg Warum Rutte nun Favorit für den NATO-Chefposten ist
Eigentlich wollte Jens Stoltenberg als NATO-Chef schon aufgehört haben. Doch nach Russlands Angriffskrieg verschob das Militärbündnis den Führungswechsel. Nun läuft es auf den Niederländer Mark Rutte hinaus.
Seit Monaten wird kein Name so oft für die Nachfolge des NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg genannt, wie der von Mark Rutte. Gegen den scheidenden niederländischen Premierminister sprach zuletzt nur noch die ungeschriebene NATO-Regel, die besagt, dass es am Ende niemand wird, über den im Vorfeld spekuliert wurde.
Mit Rutte wird die Regel jetzt außer Kraft gesetzt. Zuerst sprach sich die britische Regierung für Rutte aus. Großbritannien unterstütze Rutte nachdrücklich, so zitiert die Nachrichtenagentur AFP einen Sprecher der Regierung in London. Rutte genieße in der westlichen Allianz ein hohes Ansehen und sei geeignet dafür zu sorgen, "dass das Bündnis stark und bereit zur Verteidigung und Abschreckung bleibt".
Dann folgte Berlin. Rutte sei ein herausragender Kandidat, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit gegenüber Reuters und:
Der Kanzler unterstützt eine Nominierung von Mark Rutte als neuen Generalsekretär der NATO.
Herausforderung für den nächsten Generalsekretär
Rutte selbst äußert sich seit einiger Zeit auffallend oft und grundsätzlich zu NATO-Fragen, zuletzt bei der Sicherheitskonferenz in München. Die Wahlkampfdrohungen des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump waren Thema vieler Diskussionen und damit verbunden die Sorge, dass Europa relativ allein da stehen würde in der NATO, wenn der Putin-Versteher noch einmal ins Weiße Haus einziehen sollte.
Dass die Europäer dann viel mehr Geld in ihre Armeen investieren müssten, ist klar. "Wir sollten dies aber nicht wegen Trump machen", forderte Rutte in München, "sondern weil es in unserem Interesse ist". Dass die Europäer in jedem Fall mehr in die Rüstung investieren müssen - auch, wenn der Demokrat Joe Biden erneut das Rennen macht - ist inzwischen Konsens unter den Europäern.
In jedem Fall müsste das Verhältnis zwischen Washington und den Europäern in der Allianz dann neu austariert werden - eine Herausforderung, die auf den neuen NATO-Generalsekretär zukommen wird.
Entscheidung spätestens Juli
Die Nachfolge von Stoltenberg soll spätestens im Juli in Washington bekanntgegeben werden, pünktlich zum Jubiläumsgipfel, wenn die NATO ihr 75-jähriges Bestehen feiert. Stoltenbergs Vertrag endet im September.
Zweimal hat der Norweger schon verlängert und ließ sich wegen des Kriegs in der Ukraine in die Pflicht nehmen. Er verzichtete dafür sogar auf den schon fest vereinbarten Job als Gouverneur der Zentralbank von Norwegen. Eine dritte Verlängerung in Brüssel stand nicht mehr zur Debatte.
Rutte selbst traut sich die Aufgabe zu. In einem Interview mit einem niederländischen Radiosender sagte er im Oktober, dass der NATO-Chefposten für ihn eine sehr interessante Aufgabe sei. Er schob aber sogleich hinterher, dass auch eine Frau gute Chancen habe: "Das wäre auch sehr gut."
Estlands Kaja Kallas zeigte Interesse
Hoffnungen auf den Job an der Spitze der Allianz hatte sich in der Tat eine Frau gemacht. Kaja Kallas, die Premierministerin von Estland, signalisierte mehr als einmal, dass sie als erste Osteuropäerin gerne die Führung der Allianz übernehmen würde. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit verwies sie auf die im NATO-Vergleich relativ hohen Investitionen ihres Landes in die Verteidigung und zeigte auch schon mal mit dem Finger auf die westlichen Partner.
"Mein Volk und ich beobachten mit einer gewissen Sorge, wie wenig wahrgenommen wird, was sich derzeit in den Weiten Russlands zusammenbraut", so dozierte Kallas Anfang der Woche als Gastrednerin beim traditionellen Matthiae-Mahl in Hamburg. Im Interview mit den tagesthemen forderte sie zuletzt, das eingefrorene Eigentum der russischen Staatsbank in Höhe von mehreren hundert Milliarden Dollar für die Unterstützung der Ukraine einzusetzen.
In anderen Hauptstädten der Allianz sieht man ein solches Vorgehen aus rechtlichen Gründen kritisch. Genau dieses scharfe Profil sprach aus Sicht westlicher Regierungen gegen Kallas. Zu emotional gegen Russland eingestellt, zu fixiert auf die Idee einer Kollektivschuld des russischen Volks, so lauten Gegenargumente.
Washington gibt den Ausschlag
Das entscheidende Gewicht bei der Kandidaten-Kür liegt in Washington. Ohne das Plazet des amerikanischen Präsidenten wird niemand NATO-Generalsekretär. Und Joe Biden scheint sich auch auf Rutte festgelegt zu haben.
Er unterstützt eine Kandidatur des Niederländers, zitiert die Nachrichtenagentur dpa einen namentlich nicht genannten Vertreter der amerikanischen Regierung. Rutte sei "eine natürliche Führungspersönlichkeit, ein guter Kommunikator und seine Führung würde dem Bündnis in dieser kritischen Zeit guttun".