Emmanuel Macron

Rede in Den Haag Macrons Traum vom souveränen Europa

Stand: 11.04.2023 20:02 Uhr

Die Äußerungen des französischen Präsidenten zu Europas Rolle im Konflikt zwischen China und Taiwan sind auf viel Kritik gestoßen. In einer Grundsatzrede in Den Haag hat Macron seine Vision eines souveränen Kontinents noch mal bekräftigt.

Den Taiwan-Konflikt spricht Emmanuel Macron in Den Haag nicht an. Aber an seiner Forderung nach mehr europäischer Souveränität hält Frankreichs Präsident fest in seiner Grundsatzrede anlässlich des Staatsbesuchs in den Niederlanden.

Ohne ein Land konkret zu nennen betont Macron: "Für Souveränität einzutreten bedeutet nicht, unsere Verbündeten abzuweisen. Es heißt, dass wir in der Lage sein müssen, unsere Partner zu wählen und unser eigenes Schicksal zu gestalten, anstatt - ich würde sagen - nur Zeugen der dramatischen Entwicklung dieser Welt zu sein."

Gegensteuern zum Schutz europäischer Interessen

Während der Corona-Pandemie und durch den russischen Krieg gegen die Ukraine ist Europas Abhängigkeit von anderen Staaten nach Macrons Ansicht besonders deutlich geworden. Er will gegensteuern: durch abgestimmte staatlich gesteuerte Industriepolitik und einen selbstbewussten Schutz europäischer Interessen.

So solle die EU keine Handelsverträge mit Staaten abschließen, die nicht die gleichen Standards erfüllen. In einem Interview, das der Präsident mehreren Medien auf dem Rückflug vom dreitägigen Staatsbesuch in China gegeben hatte, ging Macron weiter. Darin warnt er Europa davor, in Krisen zu geraten, die es nichts angingen.

Mit Blick auf Taiwan sagte Macron, das Schlimmste wäre, wenn sich die Europäer als Mitläufer dem amerikanischen Rhythmus und einer chinesischen Überreaktion anpassen müssten. Die Volksrepublik China beansprucht das demokratisch regierte Taiwan für sich.  

EVP-Chef: "Demokraten müssen zusammenstehen"

Die EU-Kommission wollte Macrons Äußerungen nicht bewerten. Ihr Sprecher Eric Mamer verwies aber auf die Grundsätze von Brüssels China-Politik: "Eine Folge dieser Politik ist, dass wir selbstverständlich Frieden und Stabilität in der Straße von Taiwan gefordert haben und weiter verlangen und dass wir uns entschieden jeder einseitigen Änderung des Status quo entgegenstellen, insbesondere durch den Einsatz von Gewalt."

Außenpolitiker in Berlin und Brüssel wurden deutlicher: Der Vorsitzende der christdemokratischen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber, betonte auf Twitter, Demokraten müssten zusammenstehen, um eine regelbasierte Welt zu verteidigen - in der Ukraine und in Taiwan.

Kritik von den Grünen bis CDU

Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer nannte Macrons Peking-Visite ein Desaster. Bütikofer fordert, sich einseitigen Veränderungen in der Straße von Taiwan entgegenzustellen.

Der Christdemokrat Norbert Röttgen erklärte im Deutschlandfunk, wenn man Männern wie Xi Jinping und Wladimir Putin signalisiere, dass ihre Aggression Europa nichts angehe, würden Konflikte wahrscheinlicher: "Macron isoliert sich in Europa, er schwächt die Europäische Union und er konterkariert ja das, was die Präsidentin der europäischen Kommission in Peking gesagt hat."  

Distanz zu Washington und Brüssel

Der französische Präsident geht mit seinen Aussagen auf Distanz zu Washington, das Pekings Drohgebärden gegenüber Taiwan scharf verurteilt - und Macron tut das genau zu dem Zeitpunkt, an dem China vor den Küsten Taiwans ein Militärmanöver abhält und die Blockade der Insel übt.

Macron kann außerdem nicht für sich in Anspruch nehmen, im Namen Europas zu sprechen. Jedenfalls setzt er deutlich andere Akzente als EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen - das wurde beim gemeinsamen Besuch der beiden in Peking vergangene Woche sehr deutlich.

Alstom und L'Oréal schlossen Verträge ab

Da warnte von der Leyen Chinas Regierung deutlicher als Macron vor Waffenlieferungen an Russland im Krieg gegen die Ukraine und auch vor einem möglichen Angriff auf Taiwan. In einer Grundsatzrede hatte von der Leyen vor anderthalb Wochen einen deutlich härteren Kurs gegenüber China angekündigt.

Für den französischen Staatschef stand in Peking der Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen im Vordergrund. Er wurde von einer großen Wirtschaftsdelegation begleitet. Französische Unternehmen wie EDF, Alstom und L'Oréal schlossen Verträge ab.  

Irritierende Aussagen von Frankreichs Präsident Macron zur China-Taiwan-Politik

Michael Grytz, ARD Brüssel, tagesthemen, tagesthemen, 11.04.2023 22:15 Uhr

Macrons Lieblingsthema: Souveränität Europas

Europas Souveränität ist das Lieblingsthema des französischen Präsidenten seit seinem Amtsantritt vor sechs Jahren. Schon in der viel beachteten Rede in der Pariser Sorbonne im September 2017 verlangte Macron mehr Eigenständigkeit in der Wirtschaftspolitik und eine gemeinsame europäische Verteidigung, unabhängig vom großen Partner USA.

In seiner Ansprache in Den Haag bezog sich Macron ausdrücklich auf seine Sorbonne-Rede: "Damals hielten viele die Forderung nach Europas Souveränität für eine französische Wunschvorstellung".

Entfremdung zwischen USA und Frankreich

2019 kritisierte Macron mangelnde Koordination zwischen den USA und ihren NATO-Partnern bei strategischen Beschlüssen und bescheinigte der Allianz den "Hirntod".

Das Verhältnis zwischen Paris und Washington kühlte im September 2021 weiter ab, als die USA zusammen mit Großbritannien und Australien das Sicherheitsbündnis Aukus begründeten, das sich Chinas Expansionsbestrebungen im Indopazifik entgegenstellen soll. Der Vertrag über den Verkauf von zwölf französischen U-Booten an Australien platzte. Inzwischen sind die Misstöne verstummt.  

Was macht Deutschland?

Die Bundesregierung arbeitet noch an ihrer China-Strategie. Darin wird eine Rolle spielen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz grundsätzlich das Bild einer bipolaren Welt, in der sich nur die Vereinigten Staaten und China als Supermächte gegenüberstehen, für überholt hält.

Scholz hat sich dafür ausgesprochen, den Handel mit asiatischen Staaten auszubauen und sich nicht von China abhängig zu machen. Bei seiner Peking-Visite im vergangenen November hat Scholz den Taiwan-Konflikt nicht ausgespart und vor gewaltsamen Veränderungen des Status quo gewarnt.

Scholz erwähnte auch die Menschenrechtslage in chinesischen Provinzen. Allerdings zog auch der Besuch des Kanzlers viel Kritik auf sich und wurde als deutscher Alleingang zu einem unglücklichen Zeitpunkt gewertet - kurz nachdem sich Staats- und Parteichef Xi beim KP-Parteitag eine dritte Amtszeit gesichert hatte.  

"Es gibt eine Menge an Konfliktpotential," Rolf Mützenich, SPD, zu Deutschlands Umgang mit China

Morgenmagazin

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 11. April 2023 um 19:05 Uhr.