Predappio in Italien Wo Mussolini noch verehrt wird
Mussolinis Geburtsort Predappio ist eine Kultstätte für die Anhänger des italienischen Faschisten. 100 Jahre nach seiner Machtübernahme zeigt man dort den Diktator im mildesten Licht - und im Land legen die Rechtsextremen zu.
Es ist eine Zeitreise fast ein Jahrhundert zurück. In Forlì weisen Werbeschilder den Weg zur Villa Mussolini. Hinter einem hohen Eisentor, zur Linken und zur Rechten wehen italienische Fahnen, empfängt Domenico Morosini und stellt sich als "Hüter der italienischen Geschichte" vor.
Im Jahr 2000 hat der aus der Lombardei stammende Unternehmer zusammen mit seiner Frau die Villa gekauft. Benito Mussolini hatte sie 1923 als damals junger Machthaber für seine Familie bauen lassen.
Morosini führt durch den Park mit den vielen hohen Bäumen und durch das Gebäude. Vieles aus der Originaleinrichtung sei erhalten geblieben, sagt er und zeigt einen Schreibtisch Mussolinis, das Ehebett, das Wohnzimmer, eine seiner Uniformen. Und Morosini macht kein Geheimnis daraus, dass er ein Mussolini-Bewunderer ist. Er liebe die Geschichte und die "großen Männer". Und Mussolini sei eben "einer der Großen" und "seiner Zeit geistig 100 Jahre voraus gewesen".
So spricht ein Bewunderer des ehemaligen Diktators in Italien im Jahr 2022, 100 Jahre nach dem Marsch auf Rom, mit dem die Faschisten die Macht in Italien eroberten.
Ein Bewunderer öffnet die Pforten: die "Villa Mussolini" in Forli
Besuch bei den Mussolini-Bewunderern
Wie groß die Gruppe der - häufig gar nicht so heimlichen - Mussolini-Bewunderer im Land noch ist, lässt sich ein paar Kilometer weiter besichtigen. Predappio ist ein 6000-Einwohner-Ort am Nordrand des Apennins, Heimatort Mussolinis und Wallfahrts- und Kultstätte für Rechtextreme, Alt- und Neofaschisten.
Zum 100. Jahrestag hat Francesco Minutillo gut sichtbar am Ortseingang eine Ausstellung zum Marsch auf Rom organisiert. Mit über 200 Objekten. Mussolini-Büsten, Orden, Helme, Waffen, lebensgroße Puppen in faschistischen Uniformen.
Alles, betont Minutillo, stehe sonst in privaten Wohnzimmern - weil es in Italien eine "blühende Sammelleidenschaft zu allem, was mit den 20 Jahren Faschismus zu tun hat" gebe. Minutillo verweist auf eine Mussolini-Büste aus Bronze - im Besitz eines Privatsammlers; nach der Ausstellung werde sie wieder "im Privaten versteckt".
Auch Francesco Minutillo freut sich über eine Mussolini-Büste - die allerdings nach der Ausstellung zum unbekannten Besitzer zurückkehrt.
Die Erben der Partisanen sind entsetzt
Stolz die Mussolini-Villa zeigen. Ungeniert faschistische Objekte ausstellen. Dass dies in Italien 100 Jahre nach der Machtergreifung der Faschisten möglich ist, darüber schüttelt Miro Gori den Kopf - entsetzt und empört sei er, sagt er und erzählt von der Begegnung seiner Tochter mit "zwei Glatzköpfen", die den "römischen Gruß" gemacht hätten; eine Begegnung, die seine Tochter verängstigt habe.
Gori kommt aus einer Familie von Partisanen, die gegen Mussolini und die deutschen Besatzer gekämpft haben. In Forlì steht er an der Spitze der ANPI, der nationalen Vereinigung der Partisanen. Sie setzt sich dafür ein, dass die Verbrechen des Faschismus nicht in Vergessenheit geraten.
Der Faschismus sei in Italien eine "Vergangenheit, die nicht vergeht", stellt Gori fest - die Deutschen hätten da ihre "Vergangenheit besser angegangen - uns dagegen ist es nicht gelungen, unsere Vergangenheit angemessen aufzuarbeiten".
Nachfahren der Partisanen wie Miro Gori entsetzt der Mussolini-Kult - sie weisen auf die Folgen für das Land und seine Bürger hin.
Amnestie mit Folgen
Direkt nach dem Krieg gab hat es eine breite Amnestie für Faschisten und Nazi-Kollaborateure in Italien. Sie sollte das Land versöhnen, führte aber dazu, dass ein Großteil der faschistischen Führungskräfte in Verwaltung, Justiz, Polizei und Bildungswesen nahtlos in die italienische Republik wechselten.
Italienische Richter lassen auch heute Ausstellungen wie die in Predappio unangetastet, weil nach einem Urteil des obersten Gerichts die Möglichkeit, "Geschichte" auszustellen, in Italien großzügig ausgelegt wird.
Der "weiche Unterleib"
Vor allem aber sagt Gori, gebe es im Land immer noch die weit verbreitete Ansicht, unter Mussolini sei nicht alles schlecht gewesen. Er habe doch die Pontinischen Sümpfe trockengelegt, eine autonome Versorgung mit Lebensmitteln gesichert und das landesweite Bildungssystem eingeführt - so lauteten weit verbreitete Allgemeinplätze, sagt Gori.
Das sei kennzeichnend für das Klima im Land, in dem es nicht nur extremistische Faschisten gebe:
Es gibt vor allem einen weichen Unterleib in der Gesellschaft, der sagt: 'Ach komm, wenn Mussolini nicht 1938 die Rassengesetze erlassen hätte, wäre er weniger schlimm als Hitler gewesen'. Gegen diese Erzählung kommt man in Italien nicht an.
Das andere Gedenken: Am 25. April erinnert Italien alljährlich mit dem Freiheitstag an die Aufstände gegen den Faschismus im Jahr 1945.
Rückgriff auf Mussolinis Symbole
Auch auf der Basis einer nicht wirklich aufgearbeiteten Vergangenheit feiert in Italien derzeit eine Partei mit neofaschistischen Wurzeln politische Erfolge. Die Fratelli d’Italia, die Brüder Italiens, sind in Umfragen stärkste politische Kraft im Land.
In ihrem Parteisymbol lodert eine grün-weiß-rote Flamme, die in der Symbolik der italienischen Rechten für die Flamme auf Mussolinis Grab steht. Im Parteisitz der Brüder Italiens im Zentrum Roms residierte früher der neofaschistische MSI, nach dem Krieg von einem ehemaligen Kabinettsmitglied Mussolinis gegründet.
Heute steht an der Spitze der Brüder Italiens Giorgia Meloni, die auf Fragen, wie es ihre Partei mit dem Faschismus hält, regelmäßig genervt und ausweichend reagiert. Es gebe nichts in ihrem Leben, wofür sie sich entschuldigen müsse, aber statt über aktuelle Politik solle sie in zwei von drei Fernsehsendungen über Geschichte reden. Das finde sie "nicht richtig".
Erfolgreich in Umfragen und bei Kommunalwahlen
Die rhetorisch gewandte 45-Jährige hat laut Umfragen Lega-Chef Matteo Salvini als beliebtesten Politiker der Rechten abgelöst. Nach dem guten Abschneiden der Brüder Italiens in der ersten Runde der Kommunalwahl Mitte Juni verkündete Meloni selbstbewusst: Ihre Partei sei "absolut bereit zu regieren".
Eine Partei mit neofaschistischen Wurzeln zum Regieren bereit - 100 Jahre nach dem Beginn des Faschismus in Italien.