Präsidentenberater Podoljak "Korruption ist unsere 'Front' im Innern"
Die Ukraine hofft auf Fortschritte durch das Treffen mit der EU-Kommission in Kiew. Im ARD-Interview erklärt Präsidentenberater Mychajlo Podoljak, er begreife die Korruption im Land als "innere Front", die bekämpft werden muss.
tagesschau.de: Ein EU-Gipfel in Kiew: Ist das nur ein starkes Symbol, oder was konkret erhoffen Sie sich vom Ukraine-EU-Gipfel am Freitag?
Mychajlo Podoljak: Das ist natürlich ein sehr wichtiges Ereignis. Der Gipfel wird bekräftigen, dass es eine europäische Koalition gibt, die die Ukraine uneingeschränkt unterstützt. Außerdem wird der Gipfel Verständnis für die Notwendigkeit dafür erwecken, dass die Ukraine voll in die Europäische Union integriert werden sollte.
Auch, weil die Ukraine in Bezug auf die Werte und den Preis, den sie aktuell für die Möglichkeit zahlt, frei und demokratisch zu sein, ein Schlüsselelement des europäischen Systems ist. Und dann ist es natürlich notwendig, darüber zu sprechen, welche Bedingungen wir schon erreicht haben und welche Bedingungen noch für den Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union erfüllt werden müssen.
Mychajlo Podoljak, Jahrgang 1972, ist ein ukrainischer Journalist und Politiker. Er ist einer der wichtigsten Berater des ukrainischen Präsidenten Selenskyj.
"Wir werden alle notwendigen Schritte durchführen"
tagesschau.de: Die EU hat verschiedene Voraussetzungen für einen EU-Beitritt der Ukraine festgelegt. Wie wollen Sie es schaffen, diese bis 2025 zu erfüllen?
Podoljak: Gerade haben wir eine Hauptaufgabe. Die besteht darin, der Russischen Föderation eine militärische Niederlage zuzufügen. Denn das wird unsere Fähigkeiten und Möglichkeiten danach erheblich steigern. Das heißt, als Gewinner werden wir noch mehr emotionale Unterstützung von europäischen Ländern bekommen.
Natürlich haben wir auch logistische Pläne, sektorale Pläne für den Staat, um kompakter, weniger korrupt, transparenter zu sein, und wir werden alle notwendigen Schritte durchführen, die dazu für den Staat notwendig sind.
Diese Schritte sind übrigens in einem Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine festgehalten. Und dann gibt es noch einen emotionalen Hintergrund: Nachdem Russland den Krieg verloren haben wird, wird sein Einfluss auf Europa deutlich reduziert sein. Russland wird vielen Ländern erlauben müssen, sich freier zu fühlen und viel größere Möglichkeiten einräumen müssen.
"Wir können es uns nicht leisten, Korruption zu tolerieren"
tagesschau.de: Sie haben es selbst schon angesprochen, Korruption ist nach wie vor ein großes Problem in ihrem Land. Das haben auch die Fälle der vergangenen Woche gezeigt - beispielsweise im Infrastruktur- und Verteidigungsministerium. Wie konkret nehmen Sie das Problem in Angriff?
Podoljak: Gute Frage. Das ist ein grundlegendes Problem, auch für Europa, denn es gibt keine idealen Staaten und leider auch keine idealen staatlichen Systeme. Mancherorts wollen die Menschen zusätzliche Möglichkeiten erhalten, die ihnen nicht zustehen. Und nutzen dafür ihre administrativen Positionen aus. Und das ist nicht nur in der Ukraine so.
Aber wir können es uns aktuell hier nicht leisten, irgendwelche Formen von Korruption zu tolerieren. Das ist die prinzipielle Position von Präsident Selenskyj, und das ist auch unsere. Der Staat sagt, dass wir in der Tat zwei Fronten haben: Die erste ist die äußere, und die zweite ist die innere. Und der Krieg kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es notwendig ist, Beamte ausfindig zu machen, die zum einen ineffektiv und zum anderen korrupt sind, und sie dann zu bestrafen.
tagesschau.de: Aktuell fließt wegen des Krieges besonders viel Geld in die Ukraine - aus der EU, aber auch von anderen Partnern. Ist der Kampf gegen die Korruption in dieser Zeit des Krieges überhaupt möglich?
Podoljak: Das ist so eine philosophische Frage. Denn um ehrlich zu sein, scheint es mir, dass es keine richtige Zeit für den Kampf gegen Korruption gibt. Entweder man ist effektiv, professionell und ehrlich, oder man neigt zur Korruption. Es macht keinen Unterschied, wann man so ist. Und mir scheint sogar, dass gerade das Gegenteil der Fall ist. Weil wir das Vertrauen unserer Partner jetzt nicht verlieren dürfen, das ist sehr wichtig.
Übrigens gab es gerade eine entsprechende Erklärung des Justizministeriums der Vereinigten Staaten. Die besagt, dass sie die Verwendung der finanziellen Mittel sehr intensiv überwachen und keine systematischen Verstöße feststellen. Das heißt nicht, dass es die Verstöße nicht auf verschiedenen Ebenen gibt und das heißt auch nicht, dass wir, ich betone es noch einmal, diesen oder jenen korrupten Beamten dulden werden. Es gibt keine Unberührbaren. Und wir sprechen darüber offen mit unseren Partnern.
tagesschau.de: Manche Experten sagen, dass es ein Problem ist, dass das Verteidigungsministerium keine Verantwortung für all die Geschehnisse übernommen hat. Der Vize-Verteidigungsminister ist nur zurückgetreten. Aber niemand hat wirklich Verantwortung übernommen.
Podoljak: Ich stimme mit Ihnen in der Sache überein, dass es die maximal wirksame Reaktion braucht. Aber das ist eine Frage der Zeit. Wir können nicht einfach so eine Person beschuldigen, dass sie gestohlen hat. Das muss juristisch bewiesen werden. Für mich ist das sehr wichtig. Es gab Hinweise aus der Gesellschaft. Und der Staat hat nicht so getan, als würden wir sie nicht hören.
Es gab sofort öffentliche politische Rücktritte. Das ist eine Reaktion. Außerdem wurden auf der Stelle Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet. Sie laufen aktuell noch. Und es scheint mir, dass es heute, morgen oder in kurzer Zeit rechtliche Konsequenzen für Leute geben wird, die sich erlaubt haben, etwas Illegales zu tun, wie in dem erwähnten Verteidigungsministerium. Und diese Maßnahmen werden, wieder einmal, transparent und öffentlich sein.
Sie haben völlig Recht, man kann nicht einfach sagen, "wir haben sie entfernt". Wenn es Beweise gibt, müssen sie im Rahmen der rechtlichen Verfahren dafür Verantwortung tragen. Und so wird es sein. Der Präsident ist da sehr hart.
"Es wird eine Luftfahrt-Koalition geben"
tagesschau.de: Die Ukraine kann erst Mitglied der EU werden, wenn der Krieg im Land beendet ist. Glauben Sie, dass das bis 2025 der Fall sein wird?
Podoljak: Sehen Sie, es ist fundamental, dass der Krieg im Jahr 2023 zu Ende geht. Dazu ist eine bestimmte Menge an Waffen erforderlich. Wir sprechen auf verschiedenen Plattformen darüber und wir haben sehr gut aufgebaute Verhandlungsprozesse. Gerade haben wir eine Panzer-Koalition. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir buchstäblich in kurzer Zeit eine Raketen-Koalition haben werden, ich meine in Bezug auf die Langstreckenraketen.
Vielleicht ist es etwas komplizierter, aber wir werden auf jeden Fall eine Luftfahrt-Koalition haben, denn wir brauchen Kampfflugzeuge und Drohnen. Das ist ein Mittel des Krieges. Das ist unsere Strategie. Unsere Strategie ist es, die Zeit des Krieges deutlich zu verkürzen. Außerdem wollen wir die maximale Anzahl von Leben unserer Leute retten. Und die Expansion Russlands muss unbedingt beendet werden. Dies ist wichtig für Europa. Russland muss verlieren.
Wir sagen, dass dies nicht einmal eine Frage der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine ist. Es geht um die Entkriminalisierung der politischen Beziehungen in Europa und generell um die kriminellen Einflüsse, die korrupten Einflüsse Russlands in Europa. Wir sind uns absolut bewusst, was dafür getan werden muss. Wir sind uns auch bewusst, dass wir, wenn wir während des Krieges einen gewissen Wiederaufbau des Staatsapparates als solchen durchführen, in der Lage sein werden, über einen Beitritt zur Europäischen Union viel früher als 2025 zu sprechen.
Das scheint mir faktisch und gefühlsmäßig richtig zu sein. Wir sollten uns direkt nach dem Krieg - besser: nach der Niederlage der Russischen Föderation - zusammensetzen und logistisch über die Möglichkeiten eines schnellstmöglichen Beitritts der Ukraine zur Europäischen Union und zum Militärbündnis sprechen. Das wird auch für Europa wichtig sein, weil das seine Werte sind. Europa wird damit den Respekt vor dem Preis zeigen, den die Ukraine heute für das Recht Europas auf Freiheit zahlt. Das ist sehr wichtig.
tagesschau.de: Bald jährt sich der russische Überfall auf die Ukraine. Bereits im Vorfeld ist der 24. Februar aufgeladen worden. Was erwarten Sie rund um diesen Tag?
Podoljak: Das, was wir immer von der Russischen Föderation erwarten. Zynismus, Heuchelei. Vielleicht Raketenangriffe, vielleicht Drohnenangriffe und vielleicht eine Intensivierung der Feindseligkeiten in bestimmten Gebieten. Was können Sie von diesem Land erwarten? Wir erzählen unseren Partnern ständig davon. Hören Sie nicht auf das, was Russland sagt. Russland arbeitet immer gleich und setzen immer auf die Angst.
Sie wiederholen ständig irgendwelche Narrative, um Angst zu machen. Die Ukraine hat für sich entschlossen, sich nicht darum zu kümmern, was Russland tut. Uns interessiert, was wir tun. Und wir müssen in unsere besetzten Gebiete gehen, sie zurückerobern, an die Grenzen kommen. Unabhängig davon, ob es ein Jahrestag oder ein anderes Datum sein wird.
Das Interview führte Susanne Petersohn, WDR, zzt. in Kiew