Großbritannien "Ohne Messer ist wie ohne Handy"
In Großbritannien sind Produktion und Besitz von Macheten und "Zombiemessern" ab September verboten. Vorher setzt die Polizei auf freiwillige Rückgabe gegen eine Prämie. Reicht das aus?
"Zombiemesser" sind von Zombiefilmen inspirierte, lange und verschnörkelte Messer. Ihre Griffe sind bunt, die Klingen oft verziert, zum Beispiel mit Totenköpfen. Genau diese Messer trügen immer mehr Jugendliche, teils sogar Kinder mit sich, wie der Londoner Jugendarbeiter Tyler Clancy im BBC-Interview berichtet. Er sagt: Jugendliche würden die Messer aus Angst tragen, sie als Abschreckung nutzen.
Zak Dugdale, ebenfalls Jugendarbeiter, berichtet von Sechs- und Siebenjährigen, die mit Messern unterwegs seien. Und Martin Bisp von der NGO Empire Fighting Chance, die benachteiligte Jugendliche unterstützt, von Normalisierung. Das Haus ohne Messer zu verlassen sei wie das Haus ohne Handy zu verlassen, habe ein Jugendlicher zu ihm gesagt.
Laut Polizei waren vergangenes Jahr fast zwanzig Prozent der Täter von Messergewalt Jugendliche zwischen 10 und 17 Jahren. Und gerade in London nahmen die Fälle zu: um 16 Prozent zwischen März 2023 und März 2024. Landesweit gab in diesem Zeitraum rund 50.000 Angriffe, ein Anstieg zum Vorjahr um sieben Prozent.
Dazu verzeichnete die Polizei rund 28.000 Fälle von illegalem Messerbesitz. Nicht selten sind die Angriffe dann tödlich. Allein in London starben vergangenes Jahr 18 Teenager durch Messerangriffe. Jüngst kam es auch zu Messerstechereien beim Notting Hill Carnival. Eine Frau wurde lebensgefährlich verletzt.
Künftig drohen Haftstrafen
Ein neues Gesetz soll nun Zombiemesser und Macheten aus dem Verkehr ziehen. Ein Schlupfloch hatte ermöglicht, dass bestimmte Arten dieser Messer weiter legal blieben. Ab dem 24. September sind dann Produktion, Transport, Verkauf und Besitz aller Arten verboten. Bei Verstoß drohen bis zu vier Jahre Haftstrafe.
Bis dahin bittet die Polizei Besitzer, ihre Messer freiwillig auf den Revieren abzugeben. Locken soll sie eine Belohnung von zehn Pfund pro Messer, umgerechnet rund zwölf Euro. Die Polizei zahlt maximal dreißig Pfund.
Außerdem würden die Messer nicht auf Fingerabdrücke untersucht. Wer sie abgebe, habe nichts zu befürchten, betont die Polizei. Deshalb wird das Vorhaben auch "Zombiemesser-Amnestie" genannt.
Die Zahl der Messer, die in Birmingham abgegeben und beschlagnahmt wurde, erzählt viel über das Ausmaß des Problems.
Frage nach den tieferliegenden Ursachen
Für viele Opfer-Angehörige ist das ein erster richtiger Schritt, der aber noch nicht weit genug geht. Zwar ist laut britischem Waffenrecht der private Besitz vieler Messer verboten. Doch reguläre Küchenmesser fallen nicht darunter.
Das heißt, wer scharfe Gegenstände mit sich tragen und verwenden will, findet eine Gelegenheit. Angehörige und Aktivisten fordern deshalb, auch die tieferliegenden Gründe für Messerangriffe anzugehen.
Und diese Gründe sind vielfältig. In London wird Messerkriminalität traditionell mit Gang-Rivalität in Verbindung gebracht, sagt James Alexander, Fellow am Institut für Kriminologie der Londoner Metropolitan Universität. Gerade in benachteiligten, armen Teilen der Stadt sei das ein Thema, wo Gangs vermeintlich Sicherheit und Status bieten.
Auch wenn nach Zahlen der NHS Ärztinnen und Ärzte mehr schwarze Menschen oder andere nationale Minderheiten mit Stichwunden behandeln, sei Armut der begünstigendste Faktor - auch in Stadtteilen, in denen vor allem weiße Britinnen und Briten leben, so Alexander.
Starke Kürzungen bei der Jugendarbeit
Experten führen Messergewalt aber auch auf Einsparungen im sozialen Bereich zurück: So erlebte die Jugendarbeit in den vergangenen zehn Jahren Kürzungen von siebzig Prozent. Und auch Anlaufstellen für Erwachsene mit mentalen Problemen hätten sparen müssen, sagt James Alexander. Ebenso wie die Polizei.
Peter Neyroud vom Institut für Kriminalität von der Universität Cambridge sagt: Vor allem drei Faktoren würden Messergewalt begünstigen: Drogenmissbrauch, frühere Erfahrungen von Gewalt und psychische Probleme.
Neben dem Einsammeln von Zombiemessern und Macheten hat die neue Labour-Regierung also noch viel vor sich. Sie hat versprochen, die Zahl der Messerangriffe innerhalb von zehn Jahren zu halbieren.
Dabei sollen auch mehr Jugendarbeiter in Notaufnahmen helfen ebenso wie sogenannte Youth Hubs - Anlaufstellen für Jugendliche, die sie auch bei psychischen Problemen unterstützen und so ansetzen, noch bevor es zu Messergewalt kommt. Das Geld dafür dürfte mehr als knapp sein.